Laura Slater, Art and Political Thought in Medieval England, c. 1150–1350 (Boydell Studies in Medieval Art and Architecture) Woodbridge 2018, The Boydell Press, XXII u. 343 S., 39 Abb., ISBN 978-1-78327-333-1, GBP 60. – Der Band untersucht ausgewählte Bildzeugnisse und Sachquellen aus England im Zeitalter der Anjou-Plantagenet (der farbige Tafelteil, auf den sich viele Interpretationen beziehen, sei besonders hervorgehoben, aber auch die Schwarz-Weiß-Abbildungen sind von durchweg guter Qualität). Der Fokus liegt auf dem Aussagewert dieser Zeugnisse für die Geschichte der politischen Ideen. In vier große Abschnitte gegliedert, zeichnet S. ein Bild dieser Ideen, das spannungsreich zwischen den Polen der Untugend und der Tugend angesiedelt ist. Die Ideen befinden sich im untersuchten Zeitraum in einem Umbruch. Immer wieder wird – offen oder hintergründig – die Frage nach „der Macht“ in ihren verschiedensten Erscheinungsformen aufgegriffen. Der erste Abschnitt („Imagining Power in Angevin England“) nimmt seinen Ausgang von der Beschreibung einer neuen Beratergruppe des Königs, die ihr Verständnis von Politik im Rahmen einer intensiven theologischen Ausbildung entwickelte (S. 19). Als einer der Protagonisten wird Johann von Salisbury („member of the well-travelled and cosmopolitan Angevin apparatchik class“, S. 20) ausgegeben, dessen bekannte Schrift Policraticus (ca. 1159) mit den Bildprogrammen in den Fenstern der Kathedrale von Canterbury verglichen wird (S. 39). Weitere Kapitel dieses Abschnitts beschäftigen sich mit dem (von Walter Map und anderen beschriebenen) Leben am Hof als „Hölle auf Erden“; mit (unter anderem als Illustration zum 109. Psalm in englischen Hss. der Zeit zu findenden) Bildern vom besiegten Tyrannen sowie mit Vorstellungen von Thomas Becket, dessen Martyrium am 29. Dezember 1170 von S. dezidiert als „Wasserscheide“ politischer Argumentation, vor allem im Hinblick auf das Verhältnis von Staat und Kirche, begriffen wird, wobei die Interpretation der Collectio epistolarum sancti Thome Cantuariensis des Alan von Tewkesbury eine zentrale Rolle spielt. Nachdrücklich unterstreicht S. den vielfachen Rückgriff auf angelsächsische Wurzeln in den politischen Debatten des 12. Jh., von Gildas und Beowulf bis zu Godwin und Dodgytha. Der zweite Abschnitt („From the Clerics to the Court, ca. 1200–1250“) untersucht die Geschichte der politischen Ideen innerhalb und außerhalb der großen „Schulen“ (namentlich der Pariser) der Zeit. Es geht dabei um die innenpolitischen Konflikte in England zur Zeit des (als politische Krise begriffenen) Interdikts; es geht um Kriege im Zeichen des Kreuzes und um das Große Siegel; um „lebendige Steine“ der Kirche und des Staates; um Helden des englischen Kampfs für die Freiheit; um Beispiele einer tugendhaften Herrschaft, dargestellt anhand der heiligen Könige Edmund und Edward (des Bekenners); um Mythen, die sich über die Magna Charta gebildet haben. S. unterstreicht die sakrale Dimension in der Gestaltung der Magna Charta, die auch im komplizierten Rezeptionsprozess dieses Dokuments weiterhin spürbar sein sollte (S. 112). Im dritten Abschnitt („The Barons’ War and the Dreams of Reformers“) geht es um das politische Denken der Kleriker im Zeitalter der Reform der Barone; um baroniale Pläne und ihre Propaganda; um den nach seinem Tod von vielen fast als Heiliger betrachteten Simon de Montfort, den Anführer der baronialen Aufstände, der von seinen Anhängern als charismatisches Modell exemplarischer christlicher Tugenden ausgegeben wurde; um den Spott auf diesen Simon de Montfort in drei königlichen Hss.; um die bildliche Umsetzung politischer Debatten in der sogenannten Lambeth-Apokalypse (London, Lambeth Palace Library, MS 209); um die Darstellung des Todes von Tyrannen in Westminster; um das Grabmal Sir Thomas Cantilupes (um 1220–1282), des Lordkanzlers und Bischofs der Diözese Hereford, in der Kathedrale von Hereford sowie um Gedanken über Politik im England des 13. Jh. Zusammenfassend deutet S. die politischen Debatten in England im Zeitalter des Kriegs der Barone, angeführt von scholastisch gebildeten Klerikern und festgefahren in der Benutzung etablierter biblischer und rhetorischer Figuren, als „Schwanengesang“ des alten, sicheren, aus dem Hoch-MA stammenden Rahmens politischer Argumentation (S. 162). Im letzten Abschnitt („Visions of Government during the Three Edwards“) geht es zunächst um die Commendatio lamentabilis; um Vorstellungen von englischer Nationalgeschichte im eduardischen England; um neue Beratungstechniken für die Prinzenerziehung („The Treatise of Walter of Milemete“); um sich im „Great Seal“ offenbarende neue Vorstellungen von englischer Königsmacht; um alte Ängste und den „heiligen Tyrannenmord“. S. konstatiert ein besonderes eduardisches Verständnis von Macht und weitergehend tiefgreifende Wandlungen von Staat und Gesellschaft im England des späteren MA: Trotz des Fortbestands älterer ideologischer Fundamente lag der Fokus nunmehr auf der Betonung der Abstammung, der Zurschaustellung von Ritterlichkeit sowie in einem geschickten Umgang mit grundlegenden königlichen Kompetenzen (S. 236). Die Vf. dieses stimulierenden, perspektivenreichen Bandes, der einer ganzen Reihe von scheinbar vertrauten Themen unbekannte Seiten abgewinnt, stellt zum Schluss ein wenig resigniert fest, dass in dem von ihr untersuchten Denken nur wenig Platz für die Rolle der Frau und der großen Mehrheit des englischen Volks gewesen sei; zumindest bei ersterer, so wird man in Umkehrung eines Heine-Worts sagen dürfen, eilte die Tat dem Gedanken voraus. Ein ausführlicher Index, der auch wichtige Sachbegriffe ausweist, erschließt den Band.
Jörg Schwarz
(Rezensiert von: Jörg Schwarz)