Modèles, réseaux et échanges curiaux au Moyen Age. LIIe congrès de la SHMESP. XLIIIe rencontres du RMBLF (Bruxelles, 20–23 mai 2021) (Histoire ancienne et médiévale 184) Paris 2022, Éditions de la Sorbonne, 395 S., Abb., ISBN 979-10-351-0839-7, EUR 30. – In seinem Vorwort nimmt Dominique Valérian (S. 7–9) das Fazit zu dem Sammelband vorweg: Er demonstriere, wie lebendig die belgische und die französische MA-Forschung sei. Versammelt sind Beiträge einer 2021 gemeinsam vom Réseau des médiévistes belges de langue française und der Société des historiens médiévistes de l’Enseignement supérieur public veranstalteten, coronabedingt digital abgehaltenen Tagung, die sich dem Hof im MA widmete. Obwohl der räumliche Schwerpunkt auf Höfen im heutigen Belgien und Frankreich liegt, werden auch andere Regionen in den Blick genommen. Mit je zwei Beiträgen zu den Abbasiden und zu Byzanz sowie einem zu den andalusischen Höfen des 11. Jh. wird der Einsicht Rechnung getragen, dass das Phänomen des ma. Hofs nur unzureichend erforscht ist, wenn, wie zumeist in der älteren Forschung, allein der lateinische Westen untersucht wird. Stark vertreten sind Studien zu kaiserlichen und königlichen Höfen. Die Untersuchungen zu Adelshöfen und in einem Fall zu den Höfen der Kardinäle in Avignon während der Schismazeit demonstrieren demgegenüber einerseits, wie wichtig jene als Modell waren, und zeigen andererseits, dass diese ‘kleineren’ Höfe ein eigenes Gepräge besaßen, das sich nicht aus dem Typus des imperialen Hofs ableiten lässt. Bereits die thematische Gliederung deutet an, dass die verschiedenen Leitlinien der neueren Hofforschung aufgegriffen werden: Es geht kulturwissenschaftlich um die Inszenierung von Macht, personengeschichtlich um das Gefolge der Fürsten, aber auch um Netzwerke und Austausch, wobei diese beiden letzten Kategorien deutlich unschärfer bestimmt werden als die erstgenannten. Die von Régine Le Jan / Julien Loiseau (S. 11–35) in ihrer instruktiven Einleitung geforderte globalgeschichtliche Ausrichtung mediävistischer Hofforschung wird nur dann belastbare und weiterführende Ergebnisse liefern, die über das Zusammentragen von Informationen hinausgehen, wenn theoretische und konzeptionelle Rahmen bereitstehen, in die die Ergebnisse der Forschung zu einzelnen Höfen eingefügt werden. Erst dadurch können sie sinnhaft aufeinander bezogen werden. Nicht jeder der Leitbegriffe des Bandes hilft hier weiter: Die Netzwerkanalysen zu den Personen des Hofs bieten bei großem technischen Aufwand überwiegend nur einen geringen Mehrwert gegenüber den traditionellen Methoden, den Hof als Geflecht personaler Beziehungen zu rekonstruieren. Einige der entsprechenden Beiträge sowie die anregende Zusammenfassung von Éric Bousmar / Annick Peters-Custot (S. 351–372) thematisieren dieses Problem selbst. Weiterführend ist die Annahme, es habe Austauschbeziehungen zwischen Höfen in dem Sinn gegeben, dass nicht nur Personen und Dinge transferiert wurden, sondern auch Wissen um die Konstitution der Höfe selbst. Dann war es möglich, dass Höfe voneinander lernten und sich an als erfolgreich angesehenen Modellen der jeweiligen Gegenwart oder Vergangenheit ausrichteten. Diese Praxis des Lernens und Adaptierens bietet Hinweise darauf, wie Höfe zeitgenössisch beobachtet wurden, und eröffnet damit die Möglichkeit für die Frage nach reflexiven Bezugnahmen darauf, was Höfe waren und sein sollten. Insgesamt bietet der Band eine vielgestaltige Übersicht über aktuelle Trends französischsprachiger Hofforschung mit zahlreichen gelungenen Fallstudien. Dabei werden die Leitbegriffe unterschiedlich produktiv auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand angewendet. Ernüchternd für die deutsche Forschung ist, dass zwar einige Beiträge deren Ergebnisse aufnehmen, aber – mit Ausnahme des unvermeidlichen Norbert Elias – gerade deutschsprachige konzeptionelle Arbeiten kaum berücksichtigt werden. Sprachliche Hürden und nationale Forschungstraditionen erweisen sich einmal mehr als Hindernisse für den Anspruch, Mediävistik globalgeschichtlich neu auszurichten.
Jan-Hendryk de Boer
(Rezensiert von: Jan-Hendryk de Boer)