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Les Bavière-Straubing 1347–1436. Hollande, Zélande et Frise, Hainaut, Straubing, sous la direction de Ludovic Nys / Alain Marchandisse (Revue du Nord, hors série: Collection Art et Archéologie 33) Villeneuve-d’Ascq 2023, Univ. de Lille, 493 S., ISBN 979-10-93095-27-1, EUR 60. – In einem klassisch gewordenen Aufsatz des Jahres 1981 sah Laetitia Böhm die Bedeutung der niederländischen Periode des Hauses Wittelsbach – zwischen dem wegen eines Schlaganfalls regierungsunfähig gewordenen, 1389 gestorbenen „dollen Graaf“ (Wilhelm I.) und der zäh, doch vergeblich um ihre Rechte kämpfenden Jakobäa († 1436) – vornehmlich in einer Prestigesteigerung, die der domus Bavariae die dynastischen Türen zu den wichtigsten westeuropäischen Häusern aufgestoßen habe. In jüngster Zeit, befeuert durch Forschungsfragen zum kulturellen und administrativen Transfer, zu transeuropäischen Perspektiven sowie zum spätma. Hof, scheint das Interesse an den „Fürsten in der Ferne“ (aus Straubinger Sicht) bzw. an der Zeit vor den burgundischen Herzögen in den niederländischen Territorien gewachsen zu sein, wofür auch dieser mit einer praktischen bibliographischen Appendix versehene und durch ein Ortsregister zu erschließende Sammelband steht. Eingeleitet wird er durch einen souveränen Aufriss aus der Feder Werner Paravicinis, Introduction: une dynastie, plusieurs pays (S. 11–24), der die disparate Quellenlage (Den Haag, München, Straubing, diverse kleinere Archive) skizziert, administrative, finanzielle, hofstrukturelle, militärische Fragestellungen anspricht und zuletzt den transeuropäisch-transkulturellen Gehalt der Beschäftigung mit dem „Phänomen“ Niederbayern-Straubing-Holland hervorhebt. – Es folgen drei Beiträge, die sich mit Vertretern den Hauses Wittelsbach beschäftigen. Dick E. H. de Boer, Aubert de Bavière gyrovague, du royaume d’Aragon à Prague (S. 75–100), steckt den europäischen Radius und die weiten Wirkfelder Albrechts I. ab, des Sohns Ludwigs IV. des Bayern, von dessen zweiter Eheschließung die Reichslehen Holland, Seeland, Friesland sowie der Hennegau (Lehen des Bistums Lüttich) herrühren, und widmet sich ausführlicher den dynastischen Eheschließungen. – Mit der Zeit von Albrechts Sohn und Nachfolger Johann III. Ohnegnade als Fürstelekt von Lüttich befasst sich Alain Marchandisse, Jean de Bavière-Straubing, dit sans-pitié, élu de Liège (1389–1418). Une esquisse (S. 101–113), und fügt seiner „Teilbiographie“ einen Exkurs über die Portraitdarstellungen Johanns auch auf den Siegeln an. – Als praktisches Nachschlagewerk kann die Reihe der in vier Generationen gegliederten, lexikalisch aufgebauten rund 20 Biogramme in dem gründlichen Überblicksaufsatz von Ludovic Nys, Les Bavière-Straubing de Basse-Bavière, Hainaut, Hollande, Zélande et Frise. Essai de chrono-généalogie. De Marguerite d’Avesnes, seconde épouse de Louis IV de Bavière, à la mort de Jacqueline de Bavière (1324–1436) (S. 27–74), dienen. – Je vier bzw. fünf Beiträge thematisieren geographische, politische, vor allem aber kunst- und architekturgeschichtliche Aspekte in den Territorien Friesland, Holland, Seeland bzw. im Hennegau. Jeweils vorangestellt sind zwei historische Überblicksdarstellungen von Monique Maillard-Luypaert / Bertrand Schnerb, Le Hainaut des Bavière-Straubing. Aperçu historique (S. 237–252), und abermals von Dick E. H. de Boer, La Hollande, la Zélande et la Frise des Wittelsbach au prisme de la guerre des Hameçons et des Cabillauds (S. 117–159), der sein ereignisgeschichtliches Augenmerk vornehmlich auf die innenpolitischen Spannungen rund um die Parteien der sich nicht zuletzt aus den alten Adelsgeschlechtern rekrutierenden Haken und der bürgerlich-seestädtischen Kabeljaue bis zur Belagerung von Delft im Jahr 1359 legt. – In die Straubinger Gebiete nördlich und südlich der Donau zwischen Kelheim und Passau geht dann der Blick von Dorit-Maria Krenn, Le duché de Bavière-Straubing (1353–1425) (S. 381–410), die systematisch Mittel- und Unterbehörden, das Kanzleiwesen, Münzgeschichte, die Statthalterschaften des in der Straubinger Karmelitenkirche bestatteten Albrecht II. und Johanns III. sowie allgemein die Geschichte bis zum bayerischen Erbfall aufarbeitet. – Abgeschlossen wird der interessante Band durch den denkmalgeschichtlichen Stadtrundgang von Werner Schäfer, La ville de résidence de Straubing: art et architecture (S. 411–440), nicht zuletzt zu den höchst bedeutsamen Sepulkralplastiken.

Christof Paulus

(Rezensiert von: Christof Paulus)