Mischa Meier / Steffen Patzold, Gene und Geschichte. Was die Archäogenetik zur Geschichtsforschung beitragen kann (Zeitenspiegel Essay) Stuttgart 2021, Anton Hiersemann KG, 163 S., ISBN 978-3-7772-2103-8, EUR 28. – Leidenschaftlich widmen sich M. / P. der Frage nach dem Beitrag der „Archäogenetik“ zum Erkenntnisgewinn für die historische Forschung. Diese grundlegende Auseinandersetzung mit der noch jungen Disziplin ist für Historiker angesichts der in verschiedenen Fachpublikationen festzustellenden Selbsteinschätzung archäogenetisch Forschender, die Geschichtswissenschaft mit ihren Entdeckungen in spektakulärer Weise prägend zu bereichern, und des damit verbundenen medialen Widerhalls ebenso wichtig wie nötig. Fundiert und kenntnisreich gelingt es den beiden Vf. argumentativ sehr überzeugend, anhand prägnanter Fallbeispiele aus den Themenbereichen historischer Seuchen und der „Völkerwanderung“ die bisher auf diesen Gebieten geleisteten Beiträge der „Archäogenetik“ zu entzaubern. M. / P. zeigen dabei unter anderem auf, dass die Erforschung komplexer Fragestellungen sozialer Interaktion als zentraler Gegenstand der Geschichtswissenschaft zwingendermaßen eine ebenso komplexe Auswertung unterschiedlicher Quellen nebst theoretisch-methodisch reflektierter Interpretation erfordert. Die Vf. betonen zu Recht, dass die „Archäogenetik“ auf der Basis von Einzelbefunden, die aus geschichtswissenschaftlicher Sicht teils inkohärent erscheinen und mitunter durch Modellrechnungen gestützt werden müssen, bei näherer Betrachtung lediglich punktuell zu einem Gesamtbild beitragen kann. Ebenso richtig erscheint ihre Feststellung, dass eine Unterfütterung archäogenetischer Befunde durch teils überholte Wissensbestände historischer Forschung infolge mangelnder Vertrautheit mit der Geschichtswissenschaft die Gefahr von Rückschritten birgt und eben gerade nicht schier revolutionäre Neubewertungen beflügelt. Auf der Grundlage all ihrer Beobachtungen reiht sich die „Archäogenetik“ in der Bewertung der beiden Vf. in den Kreis der historischen Grundwissenschaften/Hilfswissenschaften ein. Es lässt sich allerdings fragen, ob für diese Feststellung tatsächlich ein langatmiger Essay im Umfang von 130 Seiten nötig war, oder ob hierzu nicht ein prägnanter, kürzerer Beitrag ausgereicht hätte. Dies gilt umso mehr in Anbetracht einiger bis zu 15zeiliger Satzungetüme (z.B. S. 66f.) und langer wörtlicher Zitate (z.B. S. 55 und 80), durch welche die Lektüre sich phasenweise recht zäh gestaltet. Zudem mag mancher darüber rätseln, auf welchen Leserkreis der Essay eigentlich abzielt. Für Historiker hätte die historische Faktendarstellung in den Beispielen sicherlich kürzer ausfallen können, für Archäogenetiker hingegen mag vieles wie „Spezialistenwissen“ wirken. Insgesamt haben M. / P. fraglos einen höchst verdienstvollen Beitrag für künftige Diskussionen über den Wert der „Archäogenetik“ für die Geschichtswissenschaft geleistet.
Kay Peter Jankrift
(Rezensiert von: Kay Peter Jankrift)