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Regentinnen und andere Stellvertreterfiguren. Vom 10. bis zum 15. Jahrhundert, hg. von Gabriela Signori / Claudia Zey (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 111) Berlin / Boston 2023, De Gruyter Oldenbourg, XI u. 210 S., 13 Abb., 1 Karte, ISBN 978-3-11-099216-8, EUR 64,95. – Der aus einer 2021 an der Univ. Konstanz veranstalteten Tagung hervorgegangene Band widmet sich verschiedenen Formen weiblicher Regentschaft und stellvertretender Herrschaftsausübung im hohen und späten MA. Er umfasst neben einer Einführung Beispiele aus dem römisch-deutschen Reich wie auch den Grenzräumen der „europäischen Peripherie“. In einem Überblick über das Reich, Frankreich und England sowie das Königreich Jerusalem beschäftigt sich Anne Foerster (S. 11–30) mit der Regentschaft von Herrscherwitwen. Linda Dohmen (S. 31–51) untersucht die Regentschaften Judiths von Bayern, ihrer Schwägerinnen Hadwig und Gerberga sowie von Hadwigs Tochter Beatrix, die der bisher weniger beachteten Heinrich-Linie der Liudolfinger entstammten und dementsprechend im Schatten der ottonischen Regentinnen standen. Marianne Wenzel (S. 52–68) zeichnet anhand von Kaiserin Richenza und ihrer Tochter, Herzogin Gertrud von Sachsen und Bayern, verschiedene Formen weiblicher Regentschaft in der ersten Hälfte des 12. Jh. nach und macht dabei die Bedeutung kognatischer Verwandtschaft deutlich. Die Handlungsspielräume, Herrschaftsbeteiligung und Regentschaft der Gräfin Adelasia von Kalabrien und Sizilien untersucht Julia Becker (S. 69–83) vorrangig anhand der authentisch überlieferten griechischen und lateinischen Urkunden. Cristina Andenna (S. 85–110) zeichnet die Entwicklung des Generalvikariats im Königreich Sizilien nach und zeigt dabei anhand der ersten angevinischen Königinnen Maria von Ungarn und Sancia von Mallorca auf, dass formal delegierte Stellvertreterinnen besonders in Krisenzeiten zum Einsatz kamen. Mit einer institutionalisierten Form reginaler Regierungsbeteiligung in der Krone Aragón beschäftigt sich Sebastian Roebert (S. 111–136) anhand der Ernennungen von sechs Königinnen zu Statthalterinnen. Eric Böhme (S. 137–155) analysiert als Sonderfall die Verhältnisse im Königreich Jerusalem unter Agnes von Courtenay. Anhand von Nachfolgeordnungen, Beurkundungstätigkeit und Siegelgebrauch untersucht Julia Burkhardt (S. 157–176) Selbstverständnis und Herrschaftspraxis polnischer und schlesischer Regentinnen im 13. Jh., besonders von Viola von Oppeln-Ratibor und Anna von Böhmen. Maike Sach (S. 177–207) kann am Beispiel der Sofija Vitovtovna herausarbeiten, dass im Großfürstentum Moskau des 10. Jh. die Primogenitur die Etablierung von Regentinnen gegenüber dem Seniorat begünstigte. Anhand der Diskussion verschiedener „Rechtsfiguren, durch die Frauen standesunabhängig, formalisiert oder qua Gewohnheit, Ehemänner oder Söhne vertreten konnten“ (S. 1), wird trotz aller geographischen und damit (gewohnheits-)rechtlich bedingten Unterschiede deutlich, dass das Phänomen der ‘Regentinnenschaft’ ein „Kernelement weiblicher Herrschaft“ (S. 7) war, das häufiger vorkam als oft angenommen. Auf dem Weg zu dem deklarierten Ziel, „verschiedene Formen weiblicher Regentschaft im europäischen Vergleich und im historischen Wandel auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Theorie und Praxis hin zu untersuchen“ (Vorwort S. VII), erweitern die Beiträge die Basis für künftige Vergleichsstudien und zeigen den Bedarf nicht nur an weiteren Studien, sondern vor allem auch an einer Synthese des Phänomens stellvertretender Herrschaft von Königinnen und Fürstinnen. Eine Zusammenfassung und ein Register hätten den Wert des Bandes noch gesteigert, der eine willkommene Ergänzung in geschlechtergeschichtlicher Perspektive zu dem demnächst zu erwartenden, von Claudia Zey herausgegebenen Band zur Stellvertretung im MA und einen wichtigen Beitrag für ein besseres Verständnis weiblicher Herrschaft darstellt.

Anja Thaller

(Rezensiert von: Anja Thaller)