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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,1 (2024) *.

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Romedio Schmitz-Esser (Hg.), Absenz und Präsenthaltung (Forum Historische Forschung: Moderne Welt) Stuttgart 2023, Verlag W. Kohlhammer, 184 S., 28 Abb., ISBN 978-3-17-043176-8, EUR 50. – Wenn alle Auswirkungen der Corona-Pandemie, die in vieler Leben dramatisch, in etlicher Dasein sogar gravierend eingegriffen hat, so anregend und zugleich – im absolut positiven Sinn – belehrend ausgefallen wären wie das vorliegende Buch, müsste man für sie, die Pandemie, beinahe dankbar sein. Sie, erneut die Pandemie, hat ja nicht nur in Kreisen der Wissenschaft, sondern weit darüber hinaus das Bewusstsein um den Wert von Präsenz, von Anwesenheit – beides in diesen Zeiten oft schmerzlich vermisst – deutlich verstärkt. Dass parallel dazu die Überwindung von Präsenzbeschränkungen und -einengungen mithilfe der Technik vieles möglich gemacht hat, was vorher undenkbar gewesen wäre, hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass das Werk überhaupt hat entstehen können. Es umfasst insgesamt acht Beiträge von sechs Historikern, einen von theologischer und einen von kunsthistorischer Seite. Alle kreisen um den bestechend klug gewählten Titel, wobei u.a. die Probleme der Abwesenheit des Herrschers im Interregnum (Jörg Peltzer, S. 33–47), Methoden zur Überwindung negativer Auswirkungen von Absenz im Kontext des französischen Königtums Karls V. (1338/1364–1380) (Michael Brauer, S. 49–70) und Strategien zur Aufrechterhaltung von memoria am Beispiel der Jerusalemfahrt Friedrichs III. (V.) von 1436 (Alicia Wolff, S. 101–122) wie auch im Zusammenhang mit historiographischen Zeugnissen der Erinnerung an Ludwig IX. von Frankreich (1214/1226–1270) aus der Zeit um und nach 1300 (Anja Rathmann-Lutz, S. 123–141) thematisiert werden. Eine eigene Studie zeichnet – in bestechendem Fokus auf die insbesondere materielle Überlieferung ausgerichtet – die Präsenthaltung Jerusalems im iberischen Raum als der aus diesem Blickpunkt wohl zentralen Stadt nach (Nikolas Jaspert, S. 71–99). Diese nur knappe Charakterisierung der Beiträge legt in jedem Fall Zeugnis von der Weite des Blicks und der Breite der Interessen gerade auch des Hg. ab. Er beteiligt sich an dem Band mit einem einleitenden Beitrag (S. 7–32), der von allem Anfang an wohl als weit mehr konzipiert war, als dies eine bloße Einleitung von Sammelbänden sonst intendiert. Zwar wird auch hier ein präziser Überblick zu den versammelten Beiträgen geboten, zugleich bietet der Text aber weit ins Grundsätzliche gehende Gedanken und Überlegungen zum Thema. Alles fußt auf einer geradezu stupenden Literaturkenntnis, kann dabei auch (und das zu Recht) auf wichtigen eigenen Studien aufbauen. In höchst gelehrter Form wird hier deutlich gemacht, welch produktive Ansätze für ein tieferes Verständnis von vormodernen Lebensbedingungen ein bewusster und stärkerer Fokus auf die sich aus Abwesenheit ergebenden Strategien zulässt, ja möglich macht. Dass dabei zu manch nicht wirklich erforderlicher sprachlicher Neuschöpfung gegriffen wird (S. 11, wo es heißt, etwas sei „bislang noch unterkomplex erforscht“), mag man dabei nicht wirklich in die Waagschale der Kritik werfen. Dass es auch heutzutage noch immer nicht durchgedrungen ist, dass es „Tataren“, und nicht: „Tartaren“ heißt (S. 124), schon eher. Insgesamt bleibt aber der Eindruck einer äußerst anregenden und innovativen Anthologie von hoch interessanten Beiträgen, ans Licht gebracht unter der klugen Leitung eines ganz besonders versierten Herausgebers, bestehen. Dass somit nicht nur Präsenz, sondern auch Absenz wie Präsenzhaltung zum fruchtbaren Ansatzpunkt von Forschungen werden kann (so S. 25), wird aufs Beste demonstriert.

Ferdinand Opll

(Rezensiert von: Ferdinand Opll)