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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,1 (2024) *.

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Giuseppe Cusa (Hg.), Schrifttragende Medien in Nord- und Mittelitalien 1250–1350 (Geschichte: Forschung und Wissenschaft 77) Berlin / Münster 2023, LIT, 278 S., Abb., ISBN 978-3-643-15365-4, EUR 34,90. – Schrift gab es im MA bekanntlich nicht nur in Hss. und auf Urkunden, sondern auch auf anderen Schriftträgern, die man, wie in diesem Buch, auch ‘Medien’ nennen kann. In C.s lesenswerter Einleitung (S. 9–37) werden Entwicklungen in Mittel- und Norditalien besprochen, in denen ‘Schrift’ und ‘Schriftlichkeit’ eine Rolle spielen. Natürlich geht es dabei um die Verwaltung in den Kommunen, um öffentlich inszenierte Schriftträger und um Text-Bild-Relationen, aber auch um ‘Medien’ und ‘Intermedialität’. Seine breiten Überlegungen werden anhand von Malereien und Mosaiken in öffentlichen Räumen (Kirche, Rathaus) überzeugend illustriert. Florian Hartmann (S. 39–59) behandelt die Anforderungen des Publikums an die Qualität der öffentlichen Reden des politischen Personals. Er verweist auf die zahlreich vorhandenen artes dictaminis und stellt dar, wie die dort überlieferten Hinweise für gute politische Reden in den Kommunen rezipiert wurden. Da eine gesprochene Rede eine mündliche Textgattung ist, findet immer dann, wenn diese Rede schriftlich fixiert wird, ein Medienwechsel statt. Gaia Tomazzolis (S. 61–87) Beitrag über Schrift und Schriftträger in Dantes Divina commedia ist lesenswert, fällt aber außerhalb des Rahmens dieses Buches. Die literarische Verwendung der Begriffe leggere, scrivere, scrittura usw. bei Dante verweist nur eingeschränkt auf die dingfeste Schriftlichkeit in Nord- und Mittelitalien, aber die Erforschung ihrer Verwendung führt stellenweise zu einem besseren Verständnis der Divina commedia. Étienne Doublier (S. 89–112) behandelt die Entstehung von Privilegiensammlungen der Franziskaner. Während der heilige Franziskus damit nichts zu tun haben wollte, verstand die nächste Generation, dass es sinnvoll ist, die Verwaltung der zahlreichen Privilegien in den Griff zu bekommen, und dass die Herstellung von Kopiaren und Chartularen (D. verwendet beide Begriffe) wesentlich dazu beitragen kann. In Georg Christs (S. 113–144) Beitrag über die Entstehung von „Capitularies“ und ihre Verwendung in der venezianischen Verwaltung erfährt der Leser viel über Macht in der Serenissima und über die Entstehung des „bureaucratic state“. Die beiden „Capitularies“, die er behandelt, enthalten je eine Sammlung von rechtskräftigen Regelungen für die Bekämpfung von Schmuggel im Herrschaftsgebiet Veneziens. Wie und in welchem Kontext diese Textsammlungen verwendet wurden, bleibt leider unklar. Aus kunsthistorischer Sicht erläutert Annette Hoffmann (S. 145–174) Motive in Bologneser Miniaturen, die auch in anderen Medien verwendet wurden. Im Zentrum steht eine Miniatur in einer Florentiner Hs. des frühen 14. Jh. mit den Fatti di Cesare. Der dort dargestellte Tod Catilinas hat eine Parallele in einer Schlachtenszene auf einem spätantiken Sarkophag. Das Verhältnis zwischen Inschriften und Hss. steht zentral in Rino Modonuttis (S. 175–190) Beitrag über den Umgang der Paduaner Frühhumanisten mit Inschriften, die sie auf Lucan, Seneca und Livius bezogen. Welche Quellen benutzten sie, um Abkürzungen in antiken Inschriften aufzulösen? Wie verwendeten sie epigraphische Fundstücke in ihren literarischen und historiographischen Arbeiten? Der Hg. C. (S. 191–222) schreibt mit großem Sachverstand über Inhalt und Funktionen zweier Paduaner Familienbücher (von Giovanni da Nono und Ps.-Favafoschi). Viel Aufmerksamkeit bekommen die dort überlieferten Wappen und ihre Beschriftungen. Christoph Friedrich Weber (S. 223–259) beschäftigt sich ausführlich (und erfolgreich) mit den bildlichen Motiven und Beschriftungen von Städtesiegeln und privaten Siegeln. Politische Entwicklungen, Änderungen in den Machtverhältnissen und kommunales Selbstverständnis können (auch) in Siegeln zum Ausdruck gebracht werden.

Eef Overgaauw