Maximilian Nix, Widerständiges Wissen. Widerstandskonzeption und Wissensproduktion in den theoretischen Kontroversschriften um 1100 (Historische Studien 517) Husum 2023, Matthiesen, 339 S., ISBN 978-3-7868-1517-4, EUR 49. – Die Tübinger Diss. geht aus vom sogenannten Zitatenkampf von Gerstungen 1085, fokussiert Aussagen über die Legitimität von Widerstand und kann bei „dichter Lektüre“ von vier sinnvoll gewählten Schriften klare, auf diverse Voraussetzungen und Intentionen zurückzuführende Unterschiede bezüglich der „Wissensproduktion“ feststellen. So zeigt sich beispielsweise ein abgestufter Umgang mit der für die Argumentation aller Kontroversschriften zentralen biblischen Vorlage. Durch quellenkritische und autorzentrierte Textanalyse kann der Vf. einiges Licht in die „dark period of origin“ (Leidulf Melve) werfen und wissenschaftsgeschichtliche Transformationsprozesse verdeutlichen. Hierfür wird ein Dreischritt angewandt, der jeweils von der Betrachtung der intertextuellen Quellengenese über die inhaltliche Analyse zur Zusammenfassung führt. Für Datierung und Kontextualisierung des ersten Fallbeispiels, des von dem Humanisten Ulrich von Hutten 1520 erstedierten, hsl. nicht mehr greifbaren Liber de unitate ecclesiae conservanda, wird die mitteldeutsche Konfliktgemengelage, in die das Kloster Hersfeld um 1090 einbezogen war, vorgeschlagen, möglicherweise nach dem Abfall Konrads (III.) von seinem Vater Heinrich IV. im Jahr 1093. Der Liber zeigt eine umfangreiche, durchaus differenzierte Quellenverarbeitung, wobei unter den nicht biblischen Vorlagen die pseudoisidorischen Dekretalen, die 74-Titel-Sammlung und das Periurium-Dossier als zentral hervorragen. Aus dem Gehorsams- und kirchlichen Einheitsdiskurs werden Argumente gewonnen, um Papst Gregor VII. fundiert zu widersprechen. Bei Hugos von Fleury Tractatus de regia potestate et sacerdotali dignitate macht der Vf. eine Art Quellen-Patchwork aus, aus dem generalisierende, mit der göttlichen Ordnung zu vereinbarende Argumentationsfolgen entwickelt werden. Außer bei Bibelzitaten fehlt zumeist die Autorennennung, was zur Gesamtintention der Überwindung von Einzelmeinungen passe, zumal die Widerstandsauffassung (nur ausnahmsweise Widerstand und nur passiv, da dieser einen Eingriff in den von Menschen letztlich nicht durchschaubaren göttlichen ordo darstellt) ohnedies hauptsächlich biblisch begründet wird. N. widerspricht der These Ernst Sackurs von Hugos Beeinflussung durch oder Bezugnahme auf das Chronicon Hugos von Flavigny. Beim dritten Fallbeispiel, den in einem Cambridger Überlieferungsträger erhaltenen Normannischen Traktaten, wächst die Widerstandsthematik gleichsam in den Mittelpunkt der Argumentation hinein, indem sie mit den erörterten Themen wie Exemtion und bischöflichen Romfahrten verbunden wird. Denn für den Vf. sind die Traktate nach und nach entstanden und verschiedenen Autoren zuzuweisen – N. konturiert vier Textgruppen. Verortet wird ihre Entstehung nicht wie zumeist in York, sondern im Erzbistum Rouen in den Jahren um 1100. Der letzte Text, die Summa Gloria des Honorius Augustodunensis, deren Entstehung vom Vf. aus weitgehend bibliotheksgeschichtlichen Gründen im Kloster Prüfening angenommen wird, ist inhaltlich (denn Honorius fordert als einziger sogar eine Widerstandspflicht) und bezüglich der Vorlagenverarbeitung ein Sonderfall: Die Quellen werden kaum sichtbar herangezogen, sondern die Summa Gloria findet – indem die Bibel als Wurzelgrund gesetzt wird, aus dem das argumentative Geäst herauswächst – zu einem suggestiven Vortrag, der auf aktuelle Aushandlungsprozesse Einfluss zu nehmen versucht. Insgesamt macht die von Promotionsrhetorik und „Heiligenanrufung“ nicht gänzlich freie Arbeit im Einzelnen wie im Allgemeinen viele diskussionswürdige und wichtige Vorschläge. Gewiss könnten tiefere philologisch-stilistische Analysen noch Weiteres zur Erhellung beitragen, was nicht die Aufgabe der Arbeit war, wozu die schöne Studie aber anregt. Warum sie sich gerade bei einem analytischen, die Textgenese in den Mittelpunkt rückenden Ansatz nicht durchgehend auf die besten Editionen beruft (etwa im Fall des Codex Udalrici), muss offen bleiben.
Christof Paulus
(Rezensiert von: Christof Paulus)