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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,1 (2024) *.

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„Per tot discrimina rerum“. Maximilian I. (1459–1519), hg. von Markus Debertol / Markus Gneiss / Julia Hörmann-Thurn und Taxis / Manfred Hollegger / Heinz Noflatscher / Andreas Zajic, unter Mitarbeit von Sonja Dünnebeil, Wien / Köln 2022, Böhlau, 528 S., 128 Abb., ISBN 978-3-205-21602-5, EUR 85. – Das durch ein Personen- und Ortsregister zu erschließende neue Standardwerk zur Maximilianforschung geht auf eine anlässlich des 500. Todestags des Habsburgers 2019 durchgeführte Wiener Tagung zurück und beleuchtet mit rund 35, vielfach noch unter dem Einfluss der klassischen Studien Hermann Wiesfleckers stehenden Beiträgen in acht Kapiteln zentrale Aspekte von Persönlichkeit und Herrschaftspraxis einer Wendezeit-Kaisergestalt. Das erste Kapitel, überschrieben mit „Herrschen in einer Brückenzeit“, eröffnet Manfred Hollegger, Maximilian I. (1459–1519). Schlaglichter auf einen „Papier-Kaiser“ zwischen Macht und Ohnmacht, großen Plänen und ständigen Geldnöten (S. 13–22), der, ausgehend von der bekannten Etikettierung Larry Silvers, die Schwierigkeiten ausführt, die schillernde Persönlichkeit Maximilians angemessen zu fassen und passende methodische Schubladen für sein Handeln aufzuziehen – zu eng sind etwa Italien-, Reichs- und Hauspolitik ineinander verzahnt. – Wolfgang Schmale, Das Europa Maximilians I. (S. 23–31), konturiert den Europa-Begriff um 1500 und schließt Überlegungen zu Staatlichkeit und Staatsvorstellungen an, die in der Maximilian-Ära eine wesentliche und weiterwirkende Ausprägung erfuhren. – Nach kenntnisreichen Ausführungen bestätigt Paul-Joachim Heinig, Friedrich III. und Maximilian I. Gleiches und Ungleiches (S. 33–46), letztlich das Urteil Peter Moraws, der den Unterschied zwischen Vater und Sohn im Dualismus von Statik und Dynamik erkannte. Bei allen charakterlichen Gegensätzen zwischen dem hortulanen Friedrich und seinem dem Weidwerk frönenden Sohn verband die beiden eine grundsätzlich gemeinsame Herrschaftsauffassung, auch wenn ihr politischer Stil stark differierte. – Jan Hirschbiegel, Herrschen mit Vertrauen durch Vertraute. Erfolgsrezept maximilianischer Herrschaftspraxis? (S. 47–56), erörtert sein Forschungsfeld (vgl. DA 72, 368f.) in Bezug auf den Habsburger und profiliert die Bedeutung von Vertrauen im zeitgenössischen Diskurs sowie in der maximilianischen Personalauswahl und -führung. – Volkhard Huth, Agenten ‘diesseitiger Weltgestaltung’. Beobachtungen zum Personen- und Milieuprofil der Reformdiskurse und sozialen Erhebungen im Reich Maximilians I. (S. 57–80), stellt (main-)fränkische und oberrheinische „politisch-humanistische“ Gesellschaftstheoretiker vor und betont die Notwendigkeit prosopographischer und textüberlieferungshistorischer Studien, um geistesgeschichtlichen Netzwerken und wechselseitigen Beeinflussungen nachzuspüren. – Am Beginn des zweiten Kapitels, „Umfeld und Netzwerke“, diskutiert Christina Antenhofer, Maximilian und die Frauen. Bilder und Narrative (S. 83–99), einschlägige Quellenbelege zu Eleonore von Portugal, Maria von Burgund und Bianca Sforza. – Maximilians Rolle auf den Ordensfesten analysiert Sonja Dünnebeil, Maximilian I. und der Orden vom Goldenen Vlies (S. 101–116). Die Vf. erkennt in der „Ordenspolitik“ des Habsburgers die Verhältnisse in Burgund gespiegelt; nicht alle Ritter akzeptierten die maximilianische Ordenshoheit. – Inge Wiesflecker-Friedhuber, Kaiser Maximilian und der St. Georgs-Ritterorden (S. 117–127), bearbeitet Maximilians lebenslanges Bemühen um die im Titel genannte Gemeinschaft, der in der „Ehrenpforte“ ein Denkmal gesetzt wurde und deren Verankerung in den Erblanden er anstrebte. – Heinz Noflatscher / Bence Péterfi, Der frühe Maximilian, das Haus Habsburg, der Hof und die Juden (S. 129–155), tragen – bis zum Jahr 1490/91 – Bausteine zu ihrer Thematik zusammen und kommen zu dem Ergebnis, dass sich die judentolerante Haltung Friedrichs III. innerhalb der habsburgischen „Kernfamilie“ zunehmend zu einer argwöhnischen Gesinnung gewandelt habe. – Die Mediziner Jacob ben Jechiel Loans und Paolo Ricci stellt Ursula Schattner-Rieser, Notizen zu zwei jüdisch-stämmigen Leibärzten im Umfeld Maximilians I. Wegbereiter des humanistischen Interesses an der Hebraistik (S. 157–167), vor und thematisiert das Interesse an hebräischer Literatur und Sprache am Habsburgerhof, das Niederschlag auch im Fries des Innsbrucker Goldenen Dachls fand. – Das dritte Kapitel ist betitelt mit „Bildende Kunst und Memoria“. Thomas Schauerte, Aus der Ferne nah. Zu Kaiser Maximilians Verhältnis zur bildenden Kunst (S. 171–182), attestiert dem Habsburger geringe Kunstkennerschaft bei gleichzeitigem Wissen um die memoriale Bedeutung künstlerischer Werke. – Die Datierung des bekannten, später in den Besitz Cuspinians gelangten Familienbildnisses Bernhard Strigels auf 1515/16 wird von Lukas Madersbacher, Das Wiener Familienbildnis Maximilians I. Strategie und Wandlung einer dynastischen Inszenierung (S. 183–200), bestätigt, der das Gemälde in das „Selbstideologisierungsprogramm“ des Kaisers verortet. – Eva Michel, Der Triumph des Kaisers (S. 201–210), referiert die Forschung und zeigt auf, wie vor allem die Holzschnittversion des Triumphzugs, für die beim Tod Maximilians erst 120 von 210 Druckstöcken fertig waren, zum gedechtnus-Erfolgsmodell wurde. – Das Vorbild der Valois für die maximilianischen Grabmäler (Friedrich III. in Wien, Maria in Brügge, das eigene in Innsbruck) hebt Renate Prochno-Schinkel, Grabmäler im Vergleich. Die burgundischen Valois und Maximilian (S. 211–226), hervor. – Der Abschnitt zu „Literatur und Propaganda“ wird eröffnet von Stephan Füssel, Kaiser Maximilian und die Medien seiner Zeit (S. 229–243), zu Maximilians instrumentalisierendem Engagement in Historiographie, Dichtung, Heldenbüchern und „Neuen Zeitungen“. – Jan-Dirk Müller, Enea Silvio Piccolomini, Johannes Hinderbach und Maximilians Weißkunig. Zu den Anfängen des Humanismus in Deutschland (S. 245–252), widmet sich sozialen Transformationsprozessen und zeigt exemplarisch auf, wie stark die neue Geisteshaltung die Funktionseliten am Hof prägte, auch ohne dass diese literarisch produktiv geworden wären. – Methodisch interessante Überlegungen zur Bibliothek des 1510 gestorbenen und im tirolischen Hall geborenen Humanisten Johannes Fuchsmagen trägt Martin Wagendorfer, Johannes Fuchsmagen und seine Bücher – erste Einblicke in eine bisher kaum beachtete Büchersammlung (S. 253–261), vor. Kodikologische Analysen bieten Aufschlüsse zur Biographie und den Beziehungsgefügen Fuchsmagens. – Dennis Wegener, Die Korrekturen Kaiser Maximilians I. an den Theuerdank-Drucken des Jahres 1517 und das handschriftlich nachgetragene Kreuzzugskapitel 117 (S. 263–272), identifiziert den Druck Bayerische Staatsbibl., Rar. 235a, als das maximilianische Korrekturexemplar mit dem „letzten Status des Kreuzzugplans“ (S. 271). – Das fünfte Kapitel, „Vergnügen am Hof“, wird von zwei Aufsätzen bestritten. Zunächst lenkt Nicole Schwindt, Jenseits der Repräsentation. Dimensionen und Funktionen informeller Musik bei Maximilian und in seiner Umgebung (S. 275–283), den Blick von den großen Festveranstaltungen hin zur omnipräsenten Musikpflege im Grenzgebiet von Formalität und Informalität: Lautenspiel und mehrstimmige Lieder. – Den Hof Maximilians inmitten der nicht zuletzt von Italien und Burgund beeinflussten Tanzkultur schildern Monika Fink / Jadwiga Nowaczek, Maximilian I. und der Tanz (S. 285–298). – „Staatliche Verdichtung“ ist das folgende Kapitel überschrieben. Christian Lackner, Finanzen und Finanzfachleute Maximilians (S. 301–313), hinterfragt das gängige Bild vom „Herrscher ohne Geld“, skizziert die Entwicklung des variierenden Ausgabenetats und der schwankenden Einnahmequellen und stellt mit den Tirolern Paul von Liechtenstein und Blasius Hölzl zwei Finanz(fach)leute des Habsburgers vor. – Hierauf widmet sich Martin P. Schennach, Darein numals unns als regierenden herren und landsfürsten, auch als liebhaber der gerechtikait [...] zu sehen gepürt. Maximilian I. und das Rechtswesen (S. 315–325), vornehmlich am Beispiel Tirols der anschwellenden (Policey-)Gesetzgebung und vermerkt die oftmalige Deckungsgleichheit der Interessen von König und Ständen etwa im Bereich des Strafrechts. – Christoph Haidacher, Und so dieselben brief und bullen alle geregistriert sind. Notizen zum Archivwesen im Zeitalter Maximilians I. (S. 327–332), versteht seine Bemerkungen zu Innsbrucker Beständen als „Aufforderung“ (S. 330), sich des Themas anzunehmen. – Nadja Krajicek, Die Kopialbücher der oberösterreichischen Kammer unter Maximilian I. (S. 333–346), betrachtet die Explosion kopialen Schriftguts nach 1490, aus der sich zahlreiche Hinweise auf die Verwaltungspraxis der Maximilian-Zeit gewinnen lassen, etwa bezüglich der Schaffung geeigneter Archivräume in Innsbruck 1511 oder auch zum „Wandern“ der hofregistratur-puecher (per Schiffstransport) zwischen Reise-Hof und fallbezogener Aufbewahrung vor Ort. – Am Beginn des mit „Maximilian und Europa“ betitelten siebten Kapitels steht Friedrich Edelmayer, Maximilian I., die Casa de Austria und die iberischen Monarchien (S. 349–354), der das wirtschaftlich-dynastisch-militärisch-kulturelle Beziehungsgeflecht zwischen dem maximilianischen Hof und den Königreichen Aragón, Kastilien-León und Portugal skizziert. – Christina Lutter, Maximilians I. Politik in Italien (S. 355–366), trägt Überlegungen zu einer Kulturgeschichte des Politischen vor und sieht die Bedeutung Italiens für Maximilian in vier Bereichen: als Motivationshorizont, als Raum materieller Ressourcen, als Austragungsort von Konflikten, als „Labor für die europäische Bündnispolitik“ (S. 362). – Marija Wakounig, Maximilian I. und (Nord-)Osteuropa (S. 367–377), rückt ins Zentrum ihrer Betrachtungen die Beziehungen zu und den diplomatischen Austausch mit den Moskauer Großfürsten, von denen sich letztere eine Rückkehr auf die europäische Politbühne erhofften, während Maximilian eine Rückendeckung für seine Jagiellonenpolitik anstrebte. – Einen Überblick zum von Phasen des Miss- und des Vertrauens gekennzeichneten Verhältnis zwischen Maximilian und den von diesem zu seinen vier Lebensteufeln gezählten Eidgenossen versieht Peter Niederhäuser, Eine schwierige Nachbarschaft? Maximilian und die eidgenössischen Orte (S. 379–390), mit einer Regestenappendix aus Zürcher Archiven. – Der achte und letzte Abschnitt widmet sich der Reichspolitik des Kaisers und den habsburgischen Stammlanden. Dietmar Heil, Im Angesicht des Monsters. Kaiser Maximilian I. und das Heilige Römische Reich (S. 393–405), charakterisiert anhand der Themenbereiche Finanzakquise und Frieden reflexionstief die reagierende, gezwungenermaßen auf bilaterale Beziehungen setzende und stets auf die günstige Gelegenheit wartende Politik des Reichsoberhaupts. – Reinhard Seyboth, Kaiser Maximilian I. und die Reichstage (S. 407–419), konturiert das Spannungsverhältnis zwischen dem Argwohn Maximilians gegenüber der Institution Reichstag und der Notwendigkeit, unter dem Druck der Kriege die Reichsstände um Geldhilfen anzugehen, was letztlich zu einer zunehmenden Entfremdung beider Seiten in den ersten Jahrzehnten des 16. Jh. führte. – Jelle Haemers, A troubled marriage. Maximilian and the Low Countries (S. 421–431), gibt, ausgehend von Maximilians Heirat mit Maria von Burgund, einen Überblick zum innerhalb der „Niederlande“ zu differenzierenden Spannungs- und Wechselverhältnis (Antwerpen, Mechelen vs. Brügge, Gent, Lüttich). – Alois Niederstätter, Maximilian I. und „Oberösterreich“ (S. 433–442), sieht die Bedeutung Tirols, Vorarlbergs und Vorderösterreichs, die in der Herrschaftszeit Maximilians eine territoriale Arrondierung erfuhren und administrativ durchdrungen wurden, besonders als Rekrutierungsräume habsburgischer Funktionseliten. – Markus J. Wenninger, Ein gut und langfristig vorbereiteter Coup. Die Erwerbung der Grafschaft Görz durch König Maximilian im Jahr 1500 (S. 443–455), zeichnet den „generalstabsmäßig“ geplanten und durchgeführten Erwerb der vor allem auch infrastrukturell (Verbindung zu Tirol, Anbindung Triests und Istriens) gewichtigen Grafschaft nach, der einen kommunikationsgeschichtlichen Niederschlag in der Einrichtung einer durchs Pustertal führenden Postlinie zeitigte. – Roland Schäffer, Maximilian I. und „Innerösterreich“ (S. 457–468), nimmt die Steiermark, Kärnten, Krain, Istrien, Triest und Görz wirtschaftsgeschichtlich (Salz, Gold, Silber, Eisen, Arsenik) ins Visier und stellt die maximilianischen Maßnahmen im Bereich der Ständepolitik, der Verwaltungsreformen sowie der Bauprojekte vor. – Andreas Zajic, Le principal tiltre, le plus beau et riche pays de tous les autres d’icelle nostre maison d’Autriche. Maximilian I. und das (Erz-)Herzogtum Österreich (unter der Enns) (S. 469–489), betrachtet die Herrschaftslegitimation, thematisiert Fragen des habsburgischen und ständischen Selbstverständnisses in dem erst um 1515 als Erzherzogtum bezeichneten Österreich unter der Enns und beleuchtet Maximilians Versuche der Geldbeschaffung sowie dessen Bemühungen um Reformen der Hof-, Zentral- und Länderverwaltung. – Zuletzt widmet sich Walter Aspernig, Maximilian I., Polheim und Wels (S. 491–511), dem maximilianischen Aufenthalts- und Todesort, auf dessen Friedhof die Haare und posthum ausgebrochenen Zähne des Kaisers begraben wurden, und stellt mehrere Vertreter der Welser Familie Polheim als Vertraute und Funktionsträger Maximilians vor.

Christof Paulus

(Rezensiert von: Christof Paulus)