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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,1 (2024) *.

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Hartmut Kühne / Christian Popp (Hg.), Pilgern zu Wasser und zu Lande (Jakobus-Studien 24) Tübingen 2022, Narr Francke Attempto, 502 S., Abb., Karten, Pläne, ISBN 978-3-8233-8541-7, EUR 58. – Die Herausforderungen von Pilgerfahrten in vormoderner Zeit, „die sich aus den geographischen Gegebenheiten und der physischen Begrenztheit des Menschen ergaben“ (Einleitung der Hg., S. 7), sind Gegenstand der facettenreichen Beiträge dieses Bandes. Er bündelt die Ergebnisse zweier Tagungen der Deutschen Sankt-Jakobus-Gesellschaft, die 2019 in Erfurt und 2020 in Stade stattfanden. Schwerpunkte bildeten hier die Verkehrsinfrastruktur, Wege, insbesondere Brücken, sowie Wasserstraßen, und dort verschiedene Aspekte der Schiffspilgerfahrten. Aus der Themensetzung der Tagungen resultiert im Wesentlichen der Aufbau des Sammelbandes. Im ersten Teil stehen daher vor allem Brücken neben Wegen als Teile notwendiger Verkehrsinfrastruktur im Mittelpunkt. Martin Bauch / Christian Forster (S. 15–78) zeichnen nicht nur die Entwicklungen im europäischen Brückenbau nach, sondern beschäftigen sich auch eingehend mit der Motivation zur Umsetzung solcher Großprojekte, die nicht selten durch Pilgerverkehr angeregt worden seien. Zur Finanzierung, für Instandsetzung und Unterhalt nach Extremereignissen habe man häufig auf Ablässe zurückgreifen können. Johannes Mötsch (S. 79–93) stellt ebenfalls Brücken vor, und zwar diejenigen, die für die Wallfahrt in das thüringische Grimmenthal und aus den Einnahmen aus dieser Wallfahrt errichtet wurden, und betont nachdrücklich die zwingende Verbindung von Wallfahrtsorten, Verkehrswegen und Brücken. Zum Einstieg in den zweiten Teil, der „Vor- und Nachteile von Land- und Wasserwegen für mittelalterliche Pilger“ (Einleitung S. 10) herausarbeiten möchte, erörtert Ruth Schilling (S. 97–118) die Belastungen und Möglichkeiten von Schiffsreisen, die wohl nur für betuchtere Pilger möglich gewesen seien, und „zum Revidieren sozialer Ordnungskonzepte“ (S. 118) an Bord geführt hätten. Den Wallfahrten der Bewohner Skandinaviens, ihren Motiven und den Auswirkungen der Pilgerreisen auf den Lebensalltag, schließlich deren Spuren gelten die Ausführungen von Carsten Jahnke (S. 119–179), denen sich eine Untersuchung zur heiligen Ursula von Klaus Gereon Beuckers (S. 181–205) anschließt. Er charakterisiert die Heilige als „Prototyp der Schiffswallfahrer zumindest für die Flussschifffahrt auf dem Rhein“ (S. 205). Ebendiese hat der Beitrag von Jörg Voigt (S. 207–214) zum Inhalt. Er kommt nach Auseinandersetzung mit dem Ausgabenregister einer Lüneburger Gesandtschaft zu dem Ergebnis, man habe für eine Reise von Rom nach Norden ab Basel den Rhein bevorzugt. Neue Überlegungen zur berühmten und bereits viel diskutierten Romreise des Stader Abtes Albert stellt Arend Mindermann (S. 215–238) an, indem er nach dem genauen Zeitpunkt der Reise und der Auswahl der Routen fragt. Thomas T. Müller / Hartmut Kühne (S. 239–262) rücken die ecclesia S. Salvatoris auf dem Hülfensberg als überregionalen Wallfahrtsort an der Werra in den Fokus ihrer Betrachtungen und stellen Werra und Weser als Teil von Pilgerrouten heraus. Der dritte Teil schließlich bietet vier Beiträge mit regionalen Bezügen, in denen etwa Rainer Müller / Martin Sladeczek (S. 395–466) den in den Quellen schwer fassbaren Pilgern an Dom und Severistift zu Erfurt nachspüren, Tim Erthel (S. 349–393) eine in der Erfurter Predigerkirche verehrte Armreliquie Jakobus’ des Älteren vorstellt, Renate Samariter / Christian Popp / Hartmut Kühne (S. 303–347) als Pilgerzeichen gedeutete archäologische Funde mit Herkunft aus Halberstadt diskutieren oder die Rezeption der heiligen Birgitta von Schweden, die bereits im Beitrag von Jahnke (S. 134) kurz Erwähnung gefunden hat, mitsamt ihren wichtigsten norddeutschen Pilgerzielen durch Elizabeth Andersen / Mai-Britt Wiechmann (S. 265–302) in den Blick genommen wird. Zusammenfassungen in spanischer Sprache und ein Register beschließen den reich bebilderten Band, der vielfältige Einblicke in die ma. und frühneuzeitliche Mobilität der zahlreichen Pilger in regionalem und überregionalem Kontext bietet, aber auch die Schwierigkeiten thematisiert, die auf Reisen zu Land und zu Wasser auftreten konnten. Dabei geht es – anders als man vielleicht erwarten mag – weniger um konkrete Straßen und deren auf uns gekommene Relikte als vielmehr um Reiserouten, konkret in den Beiträgen von Jahnke, Mindermann und Voigt, an Land sowie auf Flüssen und Meeren. Zu monieren bleibt einzig, dass der Vergleich der Vor- und Nachteile von Land- und Wasserwegen bestenfalls bei Voigt (S. 213) und Schilling (S. 99f.) aufscheint, hier jedoch – wie so oft in der Literatur zu vormoderner Mobilität – Reisen zu Schiff recht pauschal der Vorzug gegeben wird. Das mindert allerdings den sehr guten Gesamteindruck des Bandes keineswegs.

Pierre Fütterer

(Rezensiert von: Pierre Fütterer)