Erik Beck, Wahrnehmen – Nutzen – Deuten. Studien zum Umgang mit antiken und frühgeschichtlichen Überresten im Südwesten des Reiches während des Mittelalters (Freiburger Beiträge zur Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends 20) Rahden/Westf. 2022, Verlag Marie Leidorf, 374 S., 66 Abb., ISBN 978-3-89646-780-5, EUR 65. – Die Diss. entstand im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Gegenwartsbezogene Landschaftsgenese“ an der Albert-Ludwigs-Univ. Freiburg und wurde 2015 abgeschlossen. Der ursprüngliche Titel „Mittelalterliche Wahrnehmung und Nutzung antiker und frühgeschichtlicher Überreste im Landschaftsbild des Oberrheins unter besonderer Berücksichtigung der Burgen“ lässt den burgenkundlichen Aspekt der Arbeit klarer erscheinen als der für die Druckfassung gewählte. Deutlich inspiriert ist die Studie von der Habil.-Schrift von Lukas Clemens (vgl. DA 60, 713f.). Spätestens seitdem ist hinreichend klar, dass das römisch-antike Erbe auch nordalpin von Bedeutung war. Thematisch fügt sich die Arbeit in den Kontext des Tagungsbandes Antike im Mittelalter von 2014 (vgl. DA 71, 764–766). B. war im Rahmen des Projekts „Burgen im Breisgau“ (vgl. DA 71, 818–820) wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Landesgeschichte. Nach einer Einführung (S. 9–26) untersucht B. in einem größeren Kapitel (S. 27–70) Flurnamen, die für eine Wahrnehmung vorma. Relikte sprechen können, die er mit der Wahrnehmung durch die ortsansässige ländliche Bevölkerung in Zusammenhang bringt. Systematisch erfasst wurden die Flurnamen in Südbaden und im elsässischen Département Bas-Rhin. Als relevant werden Burg, Mauer/Steinmauer/Stein sowie auf ältere Bestattungen verweisende Flurnamen betrachtet. Die seit dem Spät-MA verschriftlichten Flurnamen können „Hinweise auf die Relikte älterer Zeitschichten und deren Wahrnehmung während des Mittelalters“ geben (S. 69). Das Folgekapitel thematisiert die gelehrte Rezeption anhand von Chronistik und Urkundenüberlieferung vornehmlich im Oberrheingebiet mit den Klöstern Ebersheim, Murrhardt und Weißenburg (S. 71–144) und stellt neben dem Interesse an der Antike die Motivation der Legitimation durch Alter heraus. Der wichtige Hauptteil beschäftigt sich mit den ma. Burgen im Oberrheingebiet, die römerzeitliche Vorgängerstrukturen besitzen (S. 145–265). Das ist ohne Zweifel ein Aspekt, der in der Forschung zu ma. Burgen oft zu kurz kommt: die generelle Frage nach der Vornutzung, die aber auch für prähistorische Vorgänger zu gelten hat. Steht dahinter pragmatisch die Wiedernutzung einer sich anbietenden und bereits erprobten Lage oder doch eine gezielte Rezeption als bewusstes Anknüpfen an einen wahrnehmbaren und wahrgenommenen Herrschaftsmittelpunkt? Konkret können 15 mehrheitlich im 11. und 12. Jh. errichtete Burgen im Untersuchungsgebiet mit römerzeitlicher Vorbesiedlung in Verbindung gebracht werden. Dabei dominieren spätantike Befestigungen, die nachgenutzt wurden. Mit der „Alten Burg“ war wohl besonderes Ansehen zu verbinden, in gewisser Weise konnte aber vermutlich auch das Befestigungsregal umgangen werden, wenn man eine noch ruinös erkennbare Anlage wiederherstellte. Eine knappe Zusammenfassung (S. 267–271) sowie ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 273–373) beschließen das Buch, dem man auch ein Register gewünscht hätte. Mancher Leser mag die drei hier verfolgten unterschiedlichen Quellenstränge von Flurnamen, gelehrter Interpretation und der topographisch-archäologischen Situation nicht unbedingt als direkt zusammengehörig empfinden und auch der Interpretation des Vf., dass in der Gegenüberstellung die Haltung sowohl der bäuerlich-ländlichen Bevölkerungsschicht als auch der literarisch gebildeten Kleriker und des weltlichen Adels gegenüber antiken Überresten im Oberrheingebiet deutlich werde – zumindest in der sozialgeschichtlichen Deutung –, mit Skepsis begegnen. Dennoch bereichert die ideenreiche und gut lesbare Arbeit unser Bild vom MA am Oberrhein.
Bernd Päffgen
(Rezensiert von: Bernd Päffgen)