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Matthias Weber, Der Bischof stirbt. Zu Form, Funktion und Vorstellung bischöflicher Sterbeberichte (6.–12. Jahrhundert) (Orbis mediaevalis 20) Göttingen 2023, V&R unipress, 663 S., ISBN 978-3-8471-1491-8, EUR 85. – Ereignisse wie Sterben und Tod von Herrschaftsträgern produzierten schriftliche Erinnerung – hier steht das Ableben von Bischöfen im Mittelpunkt der Untersuchung auf der Basis von Chroniken und Annalen, die unterschiedlichste Aspekte zu den Hintergründen des jeweiligen Todes aufzeigen. In Auswahl werden auch hagiographische Darstellungen sowie Nekrologe und Verbrüderungsbücher herangezogen. Welche Rituale spielten bei der Darstellung eines ‘öffentlichen’ Bischofstodes eine entscheidende Rolle, welche konstitutiven und funktionalen Vorlagen verfolgt sie? Welche Aussagekraft hat ein überraschender, ‘schlechter’ Tod? Sind Kontinuitäten und Brüche zwischen spätantiken Traditionen und der Scholastik zu konstatieren? Es geht der Arbeit weniger um die tatsächlichen Abläufe der Todesereignisse, sondern mehr um die Vorstellungen, Ideen und Motivationen, den Übergang vom diesseitigen zum jenseitigen Leben zu schildern und, mit Wertungen versehen, nachzuzeichnen. Dabei zeigen sich Wandlungen des Bischofsideals und der Funktionen eines Bischofs von der Spätantike bis zum Hoch-MA. Die unterschiedliche Wertung eines guten oder schlechten Todes lässt sich in der langen zeitlichen Entwicklung bis hin zum „verschwundenen“ bzw. „wiederentdeckten“ Bischofstod nachvollziehen. Auf der Basis von spätantiken Todesvorstellungen erwächst die im MA zentrale Idee, dass den Toten durch Gebete und Gaben geholfen werden kann (kulminierend im ‘Fegefeuer’, verstanden als reinigendes Feuer zwischen dem Tod und dem Jüngsten Gericht). Das erfordert ein Totengedenken in schriftlicher Form. Gleichzeitig beginnen mit der Vita Martini des Sulpicius Severus, den Viten des Ambrosius und Augustinus wie auch dem Transitus Mariae moralische und religiöse Vorstellungen über einen vorbildlichen Tod, der durch vorangehende Riten, das Sterben in der Gemeinschaft sowie das Wissen des heiligen Bischofs über seine Todesstunde beschrieben wird. Einen Schwerpunkt legt die Arbeit auf die Libri historiarum decem des Gregor von Tours, der die Bischöfe in einer spezifischen Vermittlerposition zwischen Diesseits und Jenseits charakterisiert und eine Verbindung zwischen heiligmäßigem Leben und ‘gutem Tod’ – freilich in höchst unterschiedlicher Ausführlichkeit – herstellt. Trotz einer möglichen Kritik an Details seiner Lebensführung stirbt kein rechtmäßig-katholischer Bischof einen schlechten Tod. Das Bischofsideal Gregors setzt keine senatorische Herkunft der Amtsinhaber voraus. In seinem Liber vitae patrum (580er Jahre) sind aufgrund des hagiographischen Charakters der Schrift Hinweise auf die eigentlichen Sterbevorgänge rückläufig. In den Nachrufen des Venantius Fortunatus mit ihrem panegyrischen Lob stehen die Taten der Bischöfe im Diesseits im Mittelpunkt. In der Chronik des Fredegar treten die Bischöfe und ihr Handeln und Sterben stark in den Hintergrund, stattdessen konzentriert sich die Darstellung auf das Wirken der Könige. Generell lässt sich in den Chroniken und Annalen des 8.–10. Jh. ein signifikanter Rückgang von bischöflichen Todesszenen feststellen, obwohl etwa ab dem 7. Jh. mit den ordines defunctorum der Ablauf des Sterbeprozesses detailliert festgehalten wird. In der Karolingerzeit dominieren Darstellungen von Bischöfen als königliche oder päpstliche Gesandte bzw. ihrer Beteiligung an militärischen Aktionen. Ein Neuansatz lässt sich in den erzählenden Quellen ab der Mitte des 10. Jh. feststellen. Die enge Bindung zwischen den ottonisch-salischen Königen und den Bischöfen ist erkennbar. Die Vorstellungen über Sterben und Tod lehnen sich stark an die bekannten patristischen Autoren an. Allerdings spielen bei Liutprand und Widukind die bischöflichen Sterbefälle noch eine untergeordnete Rolle. Das ändert sich in den Quedlinburger Annalen sowie bei Thietmar von Merseburg, wo die Zahl der Todesfälle wieder exorbitant zunimmt. Bei beiden gab es im Fall von Bischöfen praktisch keinen schlechten Tod. Ausführlich werden einzelne Sterbeberichte analysiert. In der abschließenden Ergebnisanalyse werden quantitative, inhaltliche und funktionale Aspekte hervorgehoben. Die Arbeit setzt sich detailliert mit Chroniken, Annalen und hagiographischen Texten auseinander, bisweilen schweift sie dabei vom eigentlichen Thema ab. Die Literatur wurde erschöpfend durch- und abgearbeitet. Die Untersuchung wird einen zentralen Platz in der Forschung zu Bischofsdarstellungen im Früh- und Hoch-MA einnehmen. Interessant wären Blicke auf Leichenpredigten für Bischöfe, wie sie im 12. Jh. aufkamen. Beispielhaft wäre jene für Bischof Otto von Bamberg anzusprechen: Nicht, wie zu erwarten wäre, die Pommernmission steht im Fokus, diese wird gar nicht erwähnt, sondern ausschließlich das Wirken Ottos für das eigene Bistum. Wäre das als Kritik an seinem Handeln zu werten?

Helmut Flachenecker

(Rezensiert von: Helmut Flachenecker)