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Architekturökonomie. Die Finanzierung kirchlicher und kommunaler Bauvorhaben im späteren Mittelalter, hg. von Richard Němec / Gerald Schwedler (VSWG Beiheft 255) Stuttgart 2022, Franz Steiner Verlag, 314 S., Abb., Diagramme, Pläne, ISBN 978-3-515-13062-2, EUR 71. – Mit dem Forschungsbegriff „Architekturökonomie“ soll eine Perspektive entwickelt werden, die ma. Bauprojekte als konkrete Vorhaben zusammendenkt mit ihrer Finanzierung und Wirtschaftslogiken. Die Hg. (S. 11–65) unterstreichen in einer ausführlichen Einführung die Bedeutung dieser Perspektive angesichts eines regelrechten Kirchenbaubooms im Spät-MA. Auf sehr lange Frist angelegte Großprojekte standen einer chronischen Unterfinanzierung gegenüber. Die Formen der Finanzierung über Stiftungen, Spenden und Ablässe stehen dann auch im Fokus der Texte über Kirchenbauprojekte in Koblenz (Gerhard Fouquet, S. 67–82), Straßburg (Sabine Bengel, S. 83–106 und Marc C. Schurr, S. 107–129), Wien (Barbara Schedl, S. 131–154), Bern (Roland Gerber, S. 155–174), Regensburg (Nicole Zellweger, S. 175–206), in verschiedenen Städten in Sachsen (Stefan Bürger, S. 207–235) sowie der Peterskirche in Rom (Hans W. Hubert, S. 251–280). Angesichts des Untertitels erstaunt es, dass nur Kirchenbauten vorgestellt werden. Es ist tatsächlich schade, dass kommunale Bauwerke wie Stadtmauern und Rathäuser kaum Eingang in den Band gefunden haben – für diese gilt wohl die in der Einführung angesprochene Quellenproblematik besonders. Es zeigt sich jedoch in mehreren Beiträgen, dass es sich bei Kirchen auch und immer stärker um kommunale Projekte handelte. Oftmals hatten städtische Räte das größere Interesse daran, sich mit Kirchenbauten am Architekturwettbewerb der Städte zu beteiligen. Die dabei ersichtliche Verbindung von Politik und Bau, wenn etwa kirchliche Institutionen und städtische Räte aushandelten, wer den Bau beaufsichtigte oder die Kassen führte, lassen einige Darstellungen ins Politische abschweifen, so dass sich der Titel um den Begriff „Architekturpolitik“ erweitern ließe. Zentral ist dem Band die Untersuchung von institutionellen Strukturen des öffentlichen Bauwesens. Während Christofer Herrmann (S. 237–250) den Begriff der Bauhütte als Erfindung des 19. Jh. explizit kritisiert, benutzen andere Texte ihn relativ unkritisch. Die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben des Kirchenbaus unterlag hingegen der bestens belegten Kirchenfabrik (fabrica ecclesiae), deren Buchhaltungen die wichtigste Quelle für die Artikel dieses Bandes darstellen. Sie erlauben konkrete Einblicke in die verschiedenen Einnahmequellen und Verschiebungen in der Einkommensstruktur über die Zeit. Weniger konkret waren in der Regel die Angaben zu den Ausgaben, die kaum über Beschaffung von Material und die Entrichtung von Löhnen hinausgingen. Vor allem aber waren diese Rechnungen keine Buchhaltungen im heutigen Sinn, die Gesamtvolumina erkennen ließen – einzig für die Peterskirche in Rom gibt es zeitgenössische Schätzungen zu den Gesamtkosten des Baus (S. 271). Vielmehr erscheinen die Kirchenfabriken als Drehscheiben für alles Mögliche, von der Finanzierung der Liturgie bis zur Kreditgewährung. Angesichts dessen ist die Frage nach einer chronischen Unterfinanzierung vielleicht schlicht falsch gestellt. Die langfristig angelegten Projekte orientierten sich nämlich an den vorhandenen Ressourcen einer spezifischen Stiftungs-Ökonomie. Diese Investition betrachtet der abschließende Text (Christian Freigang, S. 281–310) überzeugend als Erwerb von symbolischem Kapital im Wettstreit der Städte, um deren Engagement für ihre Kirchenbauten zu erklären. Das ist angesichts der Tatsache, dass der konkrete Zusammenhang zwischen der Baufinanzierung und der Bautätigkeit oftmals schwierig herzustellen ist, der vielleicht überzeugendste Aspekt des Konzepts „Architekturökonomie“. Insgesamt bietet der Band eine ansprechende Lektüre an der Schnittstelle von Architektur- und Wirtschaftsgeschichte.

Benjamin Hitz

(Rezensiert von: Benjamin Hitz)