DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,1 (2024) *.

Sie bleibt nach Erscheinen der Printausgabe online verfügbar.

Versammlungen im Frühmittelalter, hg. von Philippe Depreux / Steffen Patzold (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 141) Berlin / Boston 2023, De Gruyter, VI u. 298 S., Abb., Karten, ISBN 978-3-11-104022-6, EUR 109,95. – Auf diesen Sammelband musste die Forschung sehr lange warten. Er geht zurück auf eine im Jubiläumsjahr Karls des Großen im September 2014 in Aachen abgehaltene Tagung. In der konzisen Einleitung weisen die beiden Hg. (S. 3–18) u. a. darauf hin, dass sich die bisherige Forschung zu sehr auf die (post)karolingische Epoche konzentriert und daher andere Regionen und eine diachrone Betrachtungsweise vernachlässigt habe (S. 7). Verena Epp (S. 19–34) wendet sich anschließend der Frage zu, wie sozialpsychologische Forschungsergebnisse für die Mediävistik fruchtbar gemacht werden können, und kann aufzeigen, wie wichtig die soziale Dynamik auf Versammlungen war. Die folgende Sektion widmet sich den spätantiken Grundlagen sowie einzelnen Regionen. Bertrand Lançon (S. 37–52) gibt einen Überblick über die verschiedenen Versammlungsformen in der Spätantike, ehe Sebastian Schmidt-Hofner (S. 53–84) die kommunikativen Muster von drei Versammlungstypen (städtische Kurien- und Notabelnversammlungen, Provinzial- und Diözesanversammlungen, Senat) in den Blick nimmt und der These entgegentritt, dass Versammlungen in der Spätantike ihre Bedeutung als wichtige „Organe kollektiver Beschlussfassung“ (S. 77) verloren hätten. Der Beitrag von Wolfram Drews (S. 85–102) bildet den Auftakt zu mehreren jeweils einer spezifischen europäischen Region gewidmeten Aufsätzen. D. behandelt die westgotischen Reichskonzilien, und Sören Kaschke (S. 103–115) untersucht angelsächsische Versammlungen und macht deutlich, dass die englische Forschung endlich den Gegensatz von Königtum auf der einen und Versammlung der Großen als Gegenpol auf der anderen Seite aufgeben müsse. Tobie Walther (S. 117–129) thematisiert den Zusammenhang von Urkundenausstoß und Versammlungstätigkeit im Unterkönigtum Aquitanien. Die nächste Sektion widmet sich den karolingischen Versammlungen. Andrea Stieldorf (S. 133–158) kann zeigen, dass die Urkundentätigkeit des Königs nicht an eine Reichsversammlung geknüpft war und die Urkunden selbst ihre Entstehung auf einer solchen Versammlung nicht thematisieren. Karl Ubl (S. 159–178) betrachtet das 8. Jh. und König Pippin den Jüngeren. Unter ihm sei die Bedeutung von Versammlungen deutlich gestiegen, was insbesondere auf kirchlichen Einfluss zurückzuführen sei. U. sieht die Grundlegung der „karolingischen Versammlungspraxis“ (S. 175) in der Herrschaftszeit Pippins. Simon MacLean (S. 179–192) nimmt Hinkmar von Reims und dessen Schrift De ordine palatii in den Blick und fragt nach der Rolle und der Bedeutung von Versammlungen, die Hinkmar in seinem Werk entwirft. Hinkmars Sichtweise sei sehr geprägt von seiner Situation zum Zeitpunkt der Abfassung. Im Anschluss stellt Thomas Zotz (S. 193–214) instruktiv die sich in der Karolinger- und Ottonenzeit wandelnde Rolle der Pfalz Aachen als Versammlungsort heraus. Roman Deutinger (S. 215–227) thematisiert das Grafengericht als Gerichtsversammlung und dessen schrittweise Beeinflussung, Reglementierung und Kompetenzbeschneidung durch die karolingischen Herrscher. In der letzten Sektion zu kirchlichen Versammlungen beschäftigt sich Bruno Dumézil (S. 231–246) mit kirchlichen Versammlungen in der Merowingerzeit, anhand derer man gut das Verhältnis zwischen dem König und den kirchlichen und weltlichen Großen ablesen könne. Klaus Herbers (S. 247–259) rückt die römischen Synoden der zweiten Hälfte des 9. Jh. in den Blick und untersucht v. a. die kommunikativen Strukturen dieser zumeist nur regionale Themen behandelnden Versammlungen. Den Schluss bildet der Beitrag von Annette Grabowsky (S. 261–286), die die direkte oder indirekte päpstliche Präsenz auf Versammlungen der Karolinger- und Ottonenzeit untersucht. Auch wenn die meisten Beiträge eher darstellenden Charakter haben und keine bahnbrechend neuen Thesen bieten, lohnt sich die Lektüre sehr, da die unterschiedlichen Funktionen, Bedeutungen und kommunikativen Ebenen von Versammlungen im frühen MA gut aufgearbeitet werden. Englische Abstracts (S. 287–292) sowie ein Orts- und Personenregister (S. 293–298) er- bzw. beschließen den anregenden Band.

D. T.

(Rezensiert von: Dominik Trump)