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The Age of Affirmation. Venice, the Adriatic and the Hinterland between the 9th and 10th Centuries I tempi del consolidamento. Venezia, l’Adriatico e l’entroterra tra IX e X secolo, ed. by / a cura di Stefano Gasparri / Sauro Gelichi (Seminari internazionali del Centro Interuniversitario per la Storia e l’Archeologia dell’Alto Medioevo 8) Turnhout 2017, Brepols, 400 S., Abb., ISBN 978-2-503-57925-2, EUR 75. – Das Buch thematisiert die sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse sowie die geographischen und geomorphologischen Bedingungen, die den Rahmen für das „age of affirmation“ der Lagunenstadt Venedig im 9. und 10. Jh. bildeten. Nach einer kurzen Vorstellung durch die Hg. (S. 7–10) blickt Francesco Borri (S. 11–37) auf das benachbarte, ebenfalls im 9. Jh. aufsteigende Dalmatien, dessen Verbindungen zum karolingischen und byzantinischen Reich Handel und Piraterie gleichermaßen begünstigten, aber auch den Aufstieg neuer Eliten. Stéphane Gioanni (S. 39–58) untersucht die Auswirkungen der vom Papst unterstützten Missionsbestrebungen im dalmatinisch-kroatischen Herrschaftsbereich auf die venezianische Expansion Richtung Balkan. Maddalena Betti (S. 59–78) unterstreicht die Bedeutung von Handel und Warenverkehr durch Großmähren, der nicht nur Sklaven, sondern auch Salz, Vieh, Pferde und Wachs umfasste. In einem methodisch wegweisenden Beitrag ziehen Sauro Gelichi / Margherita Ferri / Cecilia Moine (S. 79–128) ein breites Spektrum von materiellen Quellen (u. a. Brunneneinfassungen, Sarkophage) und geomorphologischen Befunden heran, um das bislang ganz auf die Istoria Veneticorum des Johannes Diaconus gegründete Narrativ vom Bedeutungsgewinn des Rialto erst als Folge der 810 erfolgten Verlegung des Dogensitzes durch den Dogen Agnello Particiaco zu Gunsten einer schon vorgängigen Zentralität dieser Inselgruppe zu relativieren. Carlo Beltrame (S. 129–146) betrachtet die Anfänge des venezianischen Schiffbaus, für dessen Aufschwung der Zugriff auf Bauholz im venezianischen Hinterland und in Istrien eine wesentliche Voraussetzung war. Die mit dem pactum Lothars I. von 840 einsetzende Reihe der Verträge Venedigs mit den Kaisern (pacta Veneta) ergänzt Annamaria Pazienza (S. 147–176) mit einem Blick auf die Abkommen der Dogen mit istrischen Hafenstädten bis zur Jahrtausendwende. Chiara Provesi (S. 177–213) erklärt in kritischer Auseinandersetzung mit dem Narrativ des Johannes Diaconus den Konflikt zwischen den Coloprini und Morosini, in den auch Kaiser Otto II. hineingezogen wurde, aus Konkurrenzen um die Kontrolle von Gebieten um die – als Kommunikations- und Handelswege wichtigen – Flüsse auf der Terraferma. Mit der Übertragung von Reliquien des heiligen Markus auf die Reichenau unter Abt Radolt, dem früheren Bischof von Verona, und den dort entstandenen einschlägigen hagiographischen Texten beschäftigt sich Francesco Veronese (S. 215–261). Die anthroponymischen Beobachtungen von Veronica West-Harling (S. 263–276) sprechen für eine zunächst geringe Popularität des Markuskults in Venedig und lassen die dort ungebrochene Bedeutung ursprünglich byzantinischer, über Ravenna und Rom verbreiteter Namen erkennen. Stefano Riccioni (S. 277–322) ordnet die Mosaiken von S. Ilario einer der oberen Adria gemeinsamen kulturellen Koiné fränkisch-karolingischer Prägung zu, die aber auch byzantinische und muslimische Einflüsse aufweist. Flavia De Rubeis (S. 323–347) deutet die wachsende Anzahl von Inschriften im Einflussbereich Venedigs als Beleg für die Konsolidierung lokaler politischer Eliten und ihres prestigefördernden Umgangs mit Schrift. Abschließend wirft Alessandra Molinari (S. 349–368) einen Blick auf die im Vergleich zu Venedig damals noch erheblich bedeutendere Stellung Siziliens im mediterranen Handelsverkehr. Durch umsichtige Kontextualisierung nicht nur schriftlicher Quellen und Akzentuierung der Naturgegebenheiten verleiht dieser Band der recht lebendigen Diskussion um die Frühgeschichte von Rialto und Olivolo als Kern der späteren städtischen Entwicklung Venedigs zahlreiche neue Impulse.

Knut Görich

(Rezensiert von: Knut Görich)