Manuel Kamenzin / Simon Lentzsch (Hg.), Geschichte wird von den Besiegten geschrieben. Darstellung und Deutung militärischer Niederlagen in Antike und Mittelalter (Krieg und Konflikt 19) Frankfurt / New York 2023, Campus Verlag, 483 S., ISBN 978-3-593-51537-3, EUR 50. – Die jüngere Forschung zur Kulturgeschichte des Krieges in der Vormoderne interessiert sich nicht mehr nur für die zeitgenössische Darstellung von Siegen und deren Präsenz in der Erinnerung von Gesellschaften. Vielmehr wird auch das analytische und heuristische Potential von Kriegsniederlagen unter der Frage nach dem Umgang der Besiegten damit erprobt. Die Beiträge in dem Sammelband erweitern dieses Forschungsfeld, indem sie den Umgang mit Kriegsniederlagen anhand von Beispielen aus der griechisch-römischen Antike und dem MA thematisieren. Dazu werden die spezifischen Erklärungs- und Deutungsmuster herausgearbeitet, mit denen der militärische Misserfolg erklärt wurde. Für den angestrebten diachronen Vergleich arbeiten Hg. und Vf. mit dem von Reinhart Koselleck vorgeschlagenen Konzept des Erfahrungsgewinns, den Besiegte aus Niederlagen ziehen konnten. Aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen habe man für zukünftige militärische Konflikte Lehren ableiten können. Sieben Beiträge, die den Umgang mit Niederlagen in der griechisch-römischen Antike behandeln, und acht Beiträge, die sich mit der Verarbeitung von Niederlagen im MA beschäftigen, können zeigen, dass ein Lerneffekt durch den Erfahrungsgewinn nur selten eingetreten ist. Deutlich erkennbar wird aber, mit welchen Narrativen die Niederlagen (epochenübergreifend) erklärt wurden. Der Verrat von Verbündeten (Nichterscheinen auf dem Schlachtfeld) wird bemüht, das Versagen der Heerführer auf dem Schlachtfeld (Sündenbock) oder die Disziplinlosigkeit von Truppenteilen kann Niederlagen erklären. Niederlagen werden auch als göttliche Strafe für die eigene Sündhaftigkeit dargestellt und somit erklärt, nie jedoch als Folge der militärischen Fähigkeiten der Sieger. Die Hg. stellen in der Zusammenfassung (S. 461–468) einige konsistente Erklärungsmuster und Funktionen der Niederlagenerzählungen auf: Kontrolle über Deutung der Niederlage und Verfügbarmachung für die Gegenwart, die Niederlage als temporärer Rückschlag auf dem Weg zum Sieg, als Weckruf, um verlorene Tugenden (Tapferkeit, Mut, Geschick) für zukünftige Kämpfe wiederzubeleben. Es war immer ein größerer argumentativer Aufwand erforderlich, um Niederlagen zu erklären und den daraus resultierenden negativen Folgen für die davon betroffenen Gruppen in antiken wie ma. Gesellschaften Positives abzugewinnen. Gerade deshalb lohnt sich die Erforschung von Kriegsniederlagen, um weitere Einblicke in das Funktionieren von vormodernen Gesellschaften zu gewinnen. Die Beiträge in diesem Band ermuntern jedenfalls dazu.
Jörg Rogge
(Rezensiert von: Jörg Rogge)