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Pierluigi Licciardello, Ordo Camaldulensis. L’Ordine camaldolese nel medioevo tra realtà e rappresentazione (Uomini e mondi medievali 76) Spoleto 2022, Fondazione Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo, XVIII u. 676 S., ISBN 978-88-6809-379-2, EUR 55. – Es ist nicht das erste Buch, das L. über die Jünger des heiligen Romuald veröffentlicht hat, vielmehr handelt es sich gewissermaßen um eine summa, die zusammenführt und zusammenfasst, was er über viele Jahre hinweg erarbeitet hat. Seine bisher erschienenen Beiträge befassten sich mit einzelnen Aspekten des Ordens und seiner Entwicklung, jeder für sich sehr interessant, aber was noch fehlte, war diese Monographie, die dessen Entstehung und Geschichte im MA als Ganzes behandelt, wenn aus praktischen Gründen die Darstellung auch mit den ersten Jahrzehnten des 14. Jh. endet. In erster Linie handelt es sich um eine Institutionengeschichte – das zeigt schon der eindringliche Blick auf die Ordensgesetzgebung –, aber in der guten Tradition der Annales-Schule will das Buch auch eine Sozialgeschichte sein; behandelt werden auch viele weitere Gebiete, nicht zuletzt Liturgie und Spiritualität, wo L. umfassende Kenntnisse zeigt. In sieben dichten Kapiteln, einer forschungsgeschichtlich-methodologischen Einleitung und einer lesenswerten Zusammenfassung werden die wichtigsten Aspekte der kamaldulensischen Identität und der Ordensgeschichte behandelt, immer unter Heranziehung umfangreichen Quellenmaterials. Die Einleitung führt vor, dass die Forschung zum Orden nicht nur umfangreich ist, sondern auch eine lange Geschichte hat, gerade auch wegen der guten Quellenlage. Das erste Kapitel rekonstruiert die institutionelle Geschichte des Ordens mit Schwerpunkten auf der Gründung und auf dem fruchtbaren 13. Jh., in dem die Institutionalisierung zur Vollendung kam. Die erste neue – und wahrscheinlich noch den wenigsten bewusste – Erkenntnis ist, dass der Orden als Institution sich nicht weiter zurückverfolgen lässt als ins Jahr 1113. Die Gründung der Einsiedlergemeinschaft durch den heiligen Romuald ein Jahrhundert zuvor hatte ganz andere Ziele; erst im folgenden Jahrhundert wandelten sich die Eremitengemeinschaft und die vielen von ihr abhängigen Gründungen zu einem monastischen Orden, ganz ähnlich, wie es in anderen Reformzweigen des Benediktinertums, vor allem bei Zisterziensern und Kartäusern, zu beobachten ist. L. verfolgt die weitere Geschichte der Ordensinstitutionen bis in die ersten Jahrzehnte des 14. Jh.; besonders ausführlich den grundlegenden Priorat Martins III. um die Mitte des 13. Jh., unter dem viele Charakteristika der Ordensorganisation fixiert wurden, sowohl durch die Promulgation neuer Statuten wie auch durch die Erlangung der Immunität vom Diözesanbischof, die 1258 durch Papst Alexander IV. verliehen wurde. Auch wenn in der Folge immer wieder Nachbesserungen mit einzelnen Diözesanbischöfen ausgehandelt werden mussten, an erster Stelle mit demjenigen von Arezzo, der Wiege des Ordens, blieb das Privileg von 1258 doch immer der Referenzpunkt für alle späteren Dokumente zum Thema. Das wichtigste Kapitel ist das zweite, in dem L. nahezu erschöpfend die kamaldulensische Ordensgesetzgebung präsentiert und für jeden Text nicht nur den Inhalt referiert, sondern auch die Entstehungsumstände. Wichtig ist das, weil alle Analysen in den übrigen Teilen des Buchs sich auf die hier beschriebenen Quellen stützen. Die ersten drei Texte, die Rodulphi Constitutiones, der Liber Eremitice Regule und die Constitutionen des Placidus, alle aus dem 12. Jh., sind noch als Regeln für die Eremitengemeinschaft zu verstehen (weil sie zeitlich vor der eigentlichen Ordensgründung liegen), auch wenn sie die späteren Texte stark beeinflusst haben. Erst dann beginnt eine Ordensgesetzgebung im eigentlichen Sinn. An erster Stelle steht das liturgische Ordinarium, der Ordo divinorum officiorum, der 1253 vollendet wurde. Im selben Jahr promulgierte Prior Martin III. auch eine Sammlung aller bisher entstandenen normativen Texte, die unter dem Titel Libri tres de moribus bekannt ist, eine erste Systematisierung der verschiedenen Regelwerke, die in Camaldoli und den davon abhängigen Häusern in Gebrauch waren. 1271 erließ der Kardinalprotektor Ottaviano degli Ubaldini neue Regeln, die alles, was in der Zwischenzeit zu den Libri tres hinzugekommen war, in eine systematische Ordnung brachten. Das ist das einzige Mal in der Geschichte der Kamaldulenser, dass eine ordensfremde Autorität ihnen Regeln auferlegte; aus diesem Grund wurden in der Folge einige davon modifiziert und neuen Gegebenheiten angepasst. Im selben Jahr erließ auch das Generalkapitel in Arezzo neue Constitutionen. All das lief schließlich Ende der 70er Jahre zusammen im Liber IV., der durch Prior Gerhard zusammengestellt wurde. Eine letzte Bemühung um Systematisierung der Normen war der Liber V. des Priors Bonaventura von 1328, der auch die Constitutionen der vorausgegangenen Generalkapitel erfasste. Mit diesen fünf Büchern ist die Kodifizierung im wesentlichen abgeschlossen, auch wenn selbstverständlich spätere Generalkapitel weitere Regelungen zu Einzelproblemen erließen. Die Legislation umfasste systematisch auch die weniger wichtigen Aspekte des monastischen Lebens, wie sich unter anderem am Archivwesen sehen lässt (das Archiv der Eremitengemeinschaft wurde schon im 13. Jh. zum ersten Mal inventarisiert). Mit gutem Grund baut L. also seine detaillierte Analyse des Ordenslebens darauf auf, wenn auch spezifische Rückgriffe auf andere Quellen, von den Notariatsakten bis zu den Briefregistern der Generalprioren, nicht fehlen. Die folgenden Kapitel befassen sich mit der Leitung der Klöster und ihrer familia, mit einzelnen Ämtern und ihren Aufgaben; dann mit dem täglichen Leben im Kloster, den Aufgaben und dem Tagesablauf der Mönche; mit den Beziehungen des Ordens und einzelner Häuser zur Außenwelt. Die Kamaldulenser hatten von Anfang an eine doppelte Berufung, eine eremitische und kontemplative einerseits und andererseits eine coenobitische und weltoffenere. Gerade darin dürfte das Charisma des romualdinischen Ideals gelegen haben, zumindest in seiner kamaldulensischen Interpretation. Auch das sechste Kapitel behandelt die Leitung, aber die des Ordens als Ganzen, während das siebte und letzte Identität und Memoria untersucht, wie sie in den benutzten Quellen sichtbar werden. Die umfangreiche Zusammenfassung bietet eine Zusammenschau der kamaldulensischen Geschichte, aber auch der Geschichte des Mönchtums insgesamt, mit Ausblicken auf die spätere Geschichte in den unmittelbar auf die behandelten Jahrhunderte folgenden Epochen, aber sogar bis in die Gegenwart. Nur ehrliche Begeisterung für einen Forschungsgegenstand ist zu einer derart tiefschürfenden Analyse in der Lage.

Gian Paolo G. Scharf (Übers. V. L.)

(Rezensiert von: Gian Paolo G. Scharf)