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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,1 (2024) *.

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Tanja Skambraks, Karitativer Kredit. Die Monti di Pietà, franziskanische Wirtschaftsethik und städtische Sozialpolitik in Italien (15. und 16. Jahrhundert) (VSWG Beiheft 259) Stuttgart 2023, Franz Steiner Verlag, 363 S., ISBN 978-3-515-13375-3, EUR 52,50. – Die Monti di pietà sind in den letzten Dezennien zu einem festen Bestandteil der italienischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte geworden. Ihre über sechzigjährige Forschungsgeschichte, die 2001 in die Gründung des Centro di studi Monti di pietà gipfelte, ist Gegenstand eines 2020 von Petro Delcorno und Irene Zavaretto herausgegebenen Sammelbandes. In der deutschsprachigen Forschung haben die Monti hingegen wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das mag zumindest partiell darin begründet liegen, dass sie sich im cisalpinen Raum erst sehr spät und im Reich nie „flächendeckend“ durchzusetzen vermochten (S. 316). Ausnahmen sind die Pfandhäuser in Augsburg (1603) und in Nürnberg (1618), die bemerkenswerterweise beide vor und nicht nach dem Dreißigjährigen Krieg eingerichtet wurden (S. 310–316). S. kommt das unumstrittene Verdienst zu, in ihrer Mannheimer Habil.-Schrift die ebenso zentrale wie innovative Einrichtung der zentralitalienischen Armenkassen in die jüngere deutschsprachige Wirtschafts- und Sozialgeschichte eingeführt zu haben. Kenntnisse der italienischen Sprache sind für die Lektüre der Arbeit gleichwohl vorausgesetzt, da nur ausgewählte Zitate ins Deutsche übersetzt sind. Die Studie hat drei thematische Schwerpunkte: Zunächst fokussiert die Vf. auf die Franziskaner, die das diskursive Feld der Monti beherrschen (S. 62–136); von den Franziskanern wechselt sie zur jüdischen Pfandleihe über, um die ältere These zu korrigieren, die Monti hätten die jüdische Pfandleihe verdrängt (S. 137–164). Schließlich wird in allen notwendigen Einzelheiten die Einrichtung der Monti vorgestellt, die im späten 16. Jh. als Pfandleihhaus und Depositenanstalt (wie schon die Monti delle doti) in einem fungierten. Behandelt werden die Stifter, die Organisationsform, das Verwaltungspersonal, das soziale Profil der „Kunden“ sowie die Pfänder, bei denen es sich in der überragenden Mehrzahl um Kleider und Tücher handelte (S. 165–291). Besondere Beachtung schenkt S. im Analyseteil dem Perusiner Libro de vendete de pegni (1469–1470), dem Pfandleihbuch aus Lapedona (1578–1590) sowie den römischen Libri Mastri (1584–1595). Im Libro de vendete aus Perugia sind Objekte und Käufer beziehungsweise einige wenige Käuferinnen ohne Hinweis auf die früheren Besitzer vermerkt, was es erschwert, die Objekte in eine Geschichte der working poor einzubinden (S. 29–46). Kontrastiert wird der Libro de vendete mit dem rund 100 Jahre jüngeren Pfandleihbuch aus Lapedona, in dem sich primär saisonale bäuerliche Engpässe widerzuspiegeln scheinen. Die Libri Mastri schließlich erlauben es der Vf., detailliert den Kreditgeschäften nachzugehen, die über den römischen Monte abgewickelt wurden, der sich neben der Pfandleihe zur Bank für kleine Leute entwickelt hatte, auch in Mitgiftangelegenheiten. S. will viel: zentrale Fragen der spätma. Wirtschaftsethik und der frühneuzeitlichen Sozialdisziplinierung diskutieren, die Monti in Aktion als Leihhäuser und als Depositenanstalt beobachten und schließlich noch der cisalpinen „Rezeption“ der Institution nachgehen, die sie ins 17. Jh. führt. Dass S. mit vielem nicht die Erste ist, verhehlt sie nicht. Der Eigenwert ihrer Arbeit liegt darin, dass sie Diskurs und Praxis zusammenführt. Indes hätte der tiefgreifende Transformationsprozess etwas deutlicher profiliert werden können, der den gewählten Untersuchungszeitraum von über 250 Jahren auszeichnet. Vor allem im Praxisteil entsteht das Bild einer in sich wenig differenzierten Vormoderne, die das heterogene Spät-MA in der Tendenz planiert. Diskussionswürdig scheint mir auch die Annahme, der Weg in den modernen „Wohlfahrtsstaat“ führe über Pfandhäuser und Banken (S. 56–58). Das mag dem Unbehagen einer MA-Historikerin geschuldet sein, die ihren Forschungsschwerpunkt in den Städten nördlich der Alpen gewählt hat und mit dem „Wohlfahrtsstaat“ Ambivalentes verbindet. Gleichwohl, S.s Studie gewährt einen äußerst wertvollen Einblick in die Genese einer Einrichtung, die dieser Tage auch online eine unerwartete Renaissance erlebt.

Gabriela Signori

(Rezensiert von: Gabriela Signori)