Procès politiques au temps de Louis XI – le cardinal Balue. Lèse-majesté en débat, édition critique par Joël Blanchard / Pierre-Anne Forcadet avec la collaboration d’Axel Degoy (Travaux d’humanisme et Renaissance 639) Genève 2023, Droz, XLIX u. 209 S., ISBN 978-2-600-06423-1, CHF 58. – Der aus einer literaturwissenschaftlich-rechtshistorischen Zusammenarbeit hervorgegangene Band ist bereits die fünfte den politischen Prozessen aus der Regierungszeit des französischen Königs Ludwig XI. (1461–1483) und seines Vaters gewidmete Publikation. Seit 2008 wurden von B. mit wechselnden Mitherausgebern u.a. die Prozesse gegen Ludwig von Luxembourg, Graf von Saint-Pol, Jacques d’Armagnac, Jean II. von Alençon (vgl. DA 77, 758f.), Jean V. von Armagnac und der postum abgehaltene Prozess gegen den burgundischen Herzog Karl den Kühnen behandelt. Dieses Mal steht im Mittelpunkt der Prozess gegen den Kardinal und Bischof von Angers Jean Balue († 1491), der ebenso wie Guillaume de Haraucourt, Bischof von Verdun, wegen Majestätsverbrechen belangt wurde. Nach seinem Aufstieg im Dienst der Bischöfe von Poitiers Jacques Juvénal des Ursins und Angers Jean de Beauvau hatte Balue es verstanden, sich das Vertrauen Ludwigs XI. zu erwerben. Der König nahm ihn in seinen Rat auf und verlieh ihm Ämter als maître clerc an der chambre des comptes und am Parlement von Paris sowie zahlreiche Einkünfte und sonstige Gunsterweise. Nachdem Balue bereits Bischof von Évreux und, nach der Absetzung seines Mentors, von Angers geworden war, verwandte sich Ludwig beim Papst erfolgreich für seine Kardinalserhebung. Der außerordentlich unbeliebte Balue trat für die Aufhebung der Pragmatischen Sanktion von Bourges ein. Er verhandelte in königlichem Auftrag mit dem Herzog von Burgund. Insbesondere nach den Ereignissen von Péronne versuchte er, durch Intrigen seine Stellung zu sichern und sich unentbehrlich zu machen, indem er im Zusammenhang mit der Diskussion um die Apanage des königlichen Bruders Konflikte schürte. Nach Beratungen mit dem Bischof von Verdun schrieb Balue ein Memorandum an den Herzog von Burgund, in dem er ihn über die königliche Politik informierte und ihm riet, seinerseits an den Bruder des Königs zu schreiben und ihn zur Ablehnung der ihm als Apanage angebotenen Guyenne zu veranlassen. Er behauptete, der Herzog könne mit der Unterstützung mehrerer dem König feindlich gesonnener Fürsten rechnen. Der mit der Überbringung des Schriftstücks beauftragte Bote wurde jedoch gefasst. In der Folge kam es zu weiteren Verhaftungen und Verhören. Im April 1469 wurden auch der Kardinal selbst und der Bischof von Verdun inhaftiert. Die edierten Texte beziehen sich auf die daraus entstandene Anklage wegen Majestätsverbrechen und auf Kompetenzkonflikte mit der kirchlichen Gerichtsbarkeit: Der König setzte im Mai 1469 eine achtköpfige Kommission zur Untersuchung der Vorwürfe ein. Er schickte den Präsidenten des Parlement von Grenoble und weitere Gesandte zum Papst, um ihn darüber zu informieren. Schließlich erlangte mehr als ein Jahrzehnt später, 1480, der päpstliche Legat Kardinal Giuliano della Rovere (der spätere Papst Julius II.) die Freilassung Balues, der mit ihm nach Italien reiste. Ediert werden wichtige Texte zum Prozess gegen den Kardinal: z.B. eine diesbezügliche Erklärung Ludwigs, auch zur Pragmatischen Sanktion (1468); Geständnisse, Verhöre, Berichte der königlichen Gesandtschaft zum Papst und deren Instruktionen, ein Memorandum des Kanzlers Pierre d’Oriole zur rechtlichen Behandlung von Majestätsverbrechen usw. Besonders interessant ist dabei die juristische Argumentation der königlichen und der päpstlichen Seite zur Abgrenzung von kirchlicher und weltlich-königlicher Rechtsprechung mit Erörterungen zu cas privilégiés, die sich auf eine Fülle von im Anmerkungsapparat aufgeschlüsselten Argumenten aus kanonischem, römischem und französischem Recht stützt. Die Quellen erörtern zudem weitere sehr bedeutende Rechtsfragen, wie die Stellung des rex christianissimus als Verteidiger der Kirche, Pflichten des Königs gegenüber Reich und Untertanen, französische Aspirationen auf Kardinalsposten, den Ablauf juristischer Verfahren, die päpstliche Forderung nach einem Prozess außerhalb Frankreichs (in Rom oder Avignon), die Interpretation des ius soli, die Wirkung von Eiden usw. Daneben erhält der Leser aufschlussreiche Informationen zu ma. Geheimhaltungs- und Authentifizierungstechniken, Gesandtschaften und Empfangszeremoniell, Spionagevorwürfen, etc. Alles in allem handelt es sich um eine Zusammenstellung äußerst lesenswerter Texte, die diese Edition sehr verdienstvollerweise für verschiedene rechtsgeschichtliche, aber auch kultur-, politik-, diplomatie- und kirchengeschichtliche Fragestellungen erschließt.
Gisela Naegle
(Rezensiert von: Gisela Naegle)