Sabina Walter, Der Regierungsstil Theoderichs des Großen im Spiegel der „Varien“ (Roma Aeterna 13) Stuttgart 2023, Franz Steiner Verlag, 320 S., ISBN 978-3-515-13442-2, EUR 65. – Cassiodors Varien eignen sich offensichtlich gut als Thema für eine Dissertation. Allein in Deutschland sind in den letzten fünf Jahren in dichter Folge vier Dissertationen erschienen, die sich mit bestimmten Aspekten dieser Briefsammlung befassen, obwohl A. Giardina mit Ausnahme des ersten Bandes, der demnächst erscheint, eine umfassende Kommentierung vorgelegt hat (Flavio Magno Aurelio Cassiodoro Senatore Varie 2–4, 2014–2016). W. setzt sich in ihrer Diss. im Wesentlichen mit der Frage auseinander, was Theoderich tat, wenn er nicht den Thron bestieg, Familienmitglieder verheiratete oder einen Feldzug beendete. Zu ihrer Beantwortung analysiert sie sein Verhältnis zu den jüdischen Gemeinden, zum christlichen Klerus, den zivilen Eliten (Senatoren) und zum gotischen Heer und beschließt die Darstellung mit einem Vergleich zu dem oströmischen Kaiser Justinian. Auf so elementare und große Bereiche wie die Finanz- und Steuerverwaltung, die Lebensmittelversorgung, das Post- und Straßenwesen, die Baupolitik sowie die Rechtsprechung wird nicht näher eingegangen. Angesichts des Titels hätte man allerdings auch erwartet, dass sie versucht hätte darzulegen, wie die Rahmenbedingungen seiner Herrschaft, der Tagesablauf des Königs aussahen, wo er residierte und wie oft er in seinem Reich umherreiste, wer ihn beriet und wie seine Hofverwaltung organisiert war. Das grundlegende Dilemma der Studie besteht darin, dass ein historisches Thema nur anhand einer bestimmten Quelle behandelt wird. Zwar sind Cassiodors Variae eine sehr informative Quelle, ohne die wir vieles über die Politik und Administration des Ostgotenreichs nicht wüssten. In ihrer Beschreibung der Varien (S. 19–25) gesteht die Vf. aber mehr oder weniger ein, dass die dort enthaltenen Schreiben Sachverhalte sehr einseitig aus der Sicht des Königs darlegen. Auf welcher Grundlage dieser seine Entscheidungen traf, ist so gut wie nicht bekannt, da uns z. B. die Petitionen und Beschwerden seiner Untertanen nicht vorliegen. Erst dann könnte man ermessen, wie angemessen und gerechtfertigt sein Handeln war. Besonders deutlich wird die Problematik in dem Kapitel über den Klerus. Das Laurentianische Schisma wird zwar kurz erwähnt (S. 84–86); anhand der überlieferten Synodalakten hätte man aber genauer aufzeigen können, wie Theoderich sich in dem Streit um die Besetzung des Bischofsstuhls von Rom verhielt und auf Anfragen der Bischöfe reagierte. Damit die Arbeit nicht zu einem quellenkritischen Kommentar und damit zu einer eher philologischen Studie wird, versucht die Vf. ihr eine historische Blickrichtung zu geben, indem sie an die umfangreiche Untersuchung von F. Millar über die Regierungspraxis der römischen Kaiser anknüpft (The Emperor in the Roman World, 1977). Millars Darstellung endet aber bereits mit der Herrschaft Constantins, also 150 Jahre vor dem Beginn von Theoderichs Herrschaft. Um diesen Zeitraum zu überbrücken, verweist W. auf die Arbeit von S. Schmidt-Hofner zu Valentinian I., die Millars Überlegungen bestätigt (Reagieren und Gestalten, 2008). Wie sich aber die Reichsverwaltung in der Spätantike änderte, wird nicht näher beschrieben. Wenig überraschend ist dann das Fazit: Theoderich regierte „in erstaunlich konservativer Form“ und tat das, was man „von einem Kaiser erwartete“ (S. 298). Für ein solches Ergebnis hätte es keiner langen Untersuchung bedurft, da Theoderich mit dem oströmischen Kaiser Zeno vereinbart hatte, bis zu dessen Ankunft an seiner Stelle in Italien zu regieren. Zudem bildeten die Goten in Italien eine verschwindend kleine Minderheit und waren daher auf eine Kooperation gerade mit der Senatsaristokratie angewiesen. Wie es nach Theoderich weiterging und ob seine direkten Nachfolger seinen Regierungsstil übernahmen, bleibt gänzlich unberücksichtigt, obwohl auch für deren Zeit noch von Cassiodor verfasste Schreiben vorliegen. Bei aller Kritik ist anzumerken, dass viele der genannten Einzeluntersuchungen durchaus informativ und lesenswert sind, vor allem diejenigen über die jüdischen Gemeinden, die Ernennungsschreiben für führende Amtsträger, das Flottenbauprogramm und das gotische Heer. Jedoch wird in ihnen der Senat allzu schnell ohne weitere Belege als ein stadtrömisches Gremium abgetan, das nur noch selten tagte und wenig Bedeutung besaß (S. 114–119). Bei der Analyse des Heerwesens (S. 221–274) wäre größere kritische Distanz wünschenswert gewesen. Das Heer Theoderichs war ein multiethnisches Heer. Neben dem „gotischen“ Heer dürften in den Grenztruppen die Römer dominiert haben. Am Bau der Flotte und an der Ausrüstung der Schiffe dürften Römer aufgrund ihrer Erfahrungen beteiligt gewesen sein. Auch wenn gotische Krieger in eigenen Siedlungen lebten und es mit den comites und saiones gotische Amtsträger gab, sollte man vorsichtig sein, wenn man Theoderich Separation unterstellt. W. belegt ihre Darlegungen reichlich durch Zitate aus dem lateinischen Text, die sie auch ins Deutsche übersetzt. In den Übersetzungen werden allerdings manchmal bestimmte Ausdrücke nicht berücksichtigt (etwa S. 81 sacrosanctae; S. 243 more solito; S. 245 sine aliqua dilatione). Inakzeptabel ist der Umgang mit der Fachliteratur. Sie ist in ihrem Umfang nur noch schwer zu überschauen. Dies rechtfertigt aber nicht die Vorgehensweise der Vf., in ihren Darlegungen zur Forschungslage z. B. über den spätantiken Zwangsstaat und zu Theoderich vornehmlich auf die neueste Fachliteratur, insbesondere auf die ihres Doktorvaters, zu verweisen. So entsteht – ob gewollt oder ungewollt, sei dahingestellt – der falsche Eindruck, als sei in den Jahren davor zu diesen Themen kaum geforscht worden. Auf den von Giardina herausgegebenen Kommentar zu den Variae wird nur gelegentlich verwiesen. So hinterlässt die Lektüre einen zwiespältigen Eindruck: Zwar bietet das Buch interessante und lesenswerte Einzelstudien, doch einen umfassenden Überblick über das behandelte Thema vermittelt es nicht.
Frank Ausbüttel
(Rezensiert von: Frank Ausbüttel)