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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,1 (2024) *.

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Thomas Kübler / Jörg Oberste (Hg.), Alturteilsbuch der Stadt Dresden, Schöffensprüche und gelehrte Kommentare aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert, bearb. von Elena Melnik / Jörg Oberste (Die Stadtbücher Dresdens [1404–1535] und Altendresdens [1412–1528] 9) Leipzig 2022, Leipziger Univ.-Verlag, 350 S., Abb., ISBN 978-3-96023-490-6, EUR 55. – Eines der bedeutendsten aktuellen Editionsprojekte zu städtischen Quellen stellt zweifelsohne die Reihe zu den Dresdner Stadtbüchern dar, die seit 2007 erscheint. Nun liegt bereits der neunte Band vor. Es handelt sich um eine – bislang von der Forschung kaum beachtete – Sammlung von 275 in der Regel für die Stadt Dresden erteilten Rechtsauskünften, zumeist Schöffensprüche aus Leipzig und (etwas seltener) Magdeburg. Vorangestellt ist eine Vorclerung des Leipziger Oberhofgerichts; Spruch Nr. 161 stammt von den Dresdner Schöffen als Auskunft für das Gericht in Nickern (heute ein Ortsteil von Dresden). Die ältesten Sprüche datieren aus dem frühen 15. Jh., der letzte Eintrag von 1554. Das Altt VrtheilBüch besteht aus unterschiedlichen Lagen, die bis in die zweite Hälfte des 15. Jh. zurückreichen und wohl erst nachträglich zusammengebunden wurden (vgl. die Einleitung S. 15f.). Die älteren Schöffenbriefe wurden somit vermutlich zunächst in der Dresdner Kanzlei abgeschrieben und dann in dem Buch zusammengefasst, das im Folgenden sukzessive fortgeschrieben wurde. Die Editoren konnten mehrere der Schreiberhände identifizieren, beginnend mit Hans Franck, der zwischen 1451 und 1464 Dresdner Stadtschreiber war. Farbig mitabgedruckte Schriftproben einzelner Schreiberhände im Anhang ermöglichen einen exemplarischen Abgleich des edierten Textes und belegen die sorgfältige, zeichengetreue Übertragung der Vorlage. Als eine Besonderheit der neuedierten Schöffenspruchsammlung dürfen die zum Teil ausführlichen Randglossen aus der ersten Hälfte des 16. Jh. gelten, in welchen Referenz- und Parallelstellen des sächsischen Rechts (insbesondere Sachsenspiegel, Buchsche Glosse) und des gelehrten Rechts (insbesondere Codex und Digesten) nachgewiesen werden. Diese zahlreichen Verweise auf das gesetzte Recht belegen, dass den Dresdner Juristen des 16. Jh. die (ohne gesetzliche Nachweise erteilten) Schöffensprüche als alleinige Fundierung für das eigene rechtliche Handeln nicht mehr genügten. An den häufigen Bezugnahmen auf das römische Corpus iuris lässt sich die fortschreitende Rezeption des römischen Rechts auch im sächsischen Raum eindrücklich ablesen. Anhand von paläographischen Vergleichen konnten die Editoren die Hände der Randglossen zum großen Teil identifizieren und zwei studierten Juristen aus der Dresdner Stadtkanzlei zuordnen: dem Stadtschreiber Wenzel Naumann (1518–1526) und dem Oberstadtschreiber Dr. Martin Heusler (1526–1543) (S. 12f., 17, 23f.). Die einzelnen Schöffensprüche geben spannende Einblicke in die Lebenswirklichkeit ihrer Zeit und sind deshalb nicht nur für Rechtshistoriker eine lohnende Lektüre. Für den Zugang hilfreich wären indes präzisere bzw. ausführlichere Inhaltszusammenfassungen zu den einzelnen Schöffensprüchen gewesen. Wenn die Überschrift zu Spruch Nr. 122 etwa lediglich heißt „Körperverletzung – Dresdner Weichbild“ werden Leser damit weitgehend im Dunkeln gelassen; tatsächlich erläutert der Spruch, dass sich ein wegen Körperverletzung Angeklagter von diesem Vorwurf nach Dresdner Stadtrecht durch Eid mit zwei Eidhelfern entlasten kann, was ihm der Kläger keinesfalls erlassen darf. Dieses Recht gelte aber alleine für Bürger und Einwohner des wichbilds und nicht für Bauersleute von außerhalb. Sehr hilfreich ist indes das mit abgedruckte historische Spruchverzeichnis. Der Band ergänzt die bereits vorliegenden Editionen Leipziger und anderer dem Magdeburger Recht verwandter Spruchsammlungen (etwa die gewaltige, 1084 Seiten starke Ausgabe „Leipziger gelehrte Schöffenspruchsammlung“ von Julia Pätzold, 2009). Was jetzt aussteht, ist ein Vergleich, wie weit es bei den im Dresdner Alturteilsbuch gesammelten Schöffensprüchen inhaltliche und rechtliche Übereinstimmungen mit anderen Schöffenspruchsammlungen gibt. Hier eröffnet die vorgelegte Edition ein breites Feld für zukünftige Untersuchungen. Nicht nur deshalb kann die Forschung M. und O. für die geleistete Arbeit sehr dankbar sein.

Andreas Deutsch

(Rezensiert von: Andreas Deutsch)