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Karl Ubl, Köln im Frühmittelalter. Die Entstehung einer heiligen Stadt (400–1100) (Geschichte der Stadt Köln 2) Köln 2022, Greven Verlag, XVIII u. 513 S., 197 Abb., ISBN 978-3-7743-0440-6, EUR 60. – Der zweite von insgesamt 13 Bänden ist in drei Abschnitte gegliedert. Der erste beschäftigt sich mit Köln im merowingischen Frankenreich (400–700). Hier wird betont, dass „der schärfste Einschnitt“ (S. 22) in der Geschichte Kölns im 5. Jh. stattgefunden habe, als die römische Herrschaft zu Ende ging. Es sei ein „langsamer Abschied“ (ebd.) von Rom gewesen; die fränkische Herrschaftsübernahme in der Stadt sei „schleichend“ erfolgt (S. 23). Profiliert herausgearbeitet wird Kölns Bedeutung als Königsresidenz im Frankenreich seit dem 6. Jh., einer Zeit, in der – erstmals bezeugt durch eine Goldmünze Theudeberts um 540 – der alte Name „Agrippina“ abgelegt wurde und Köln (Colonia) zu seinem heutigen Namen kam; auch die fränkische Historiographie (Gregor von Tours) habe den Namenswechsel wahrgenommen. Im Kapitel „Leben und Sterben in Ribuarien“ wird versucht – aufgrund der Quellenlage schwierig genug –, eine Struktur der Gesellschaft im Raum Köln zu zeichnen; dabei werden die Unterschiede zwischen Stadt und Umland als eher gering angesehen. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit Köln in der Karolingerzeit (700–900). Neben der Erfindung des Markenzeichens „Heiliges Köln“ (S. 144–178) seien vor allem bedeutsame Aufschwünge des Wirtschaftslebens zu verzeichnen. Wichtige Quellen für die Wirtschaftsgeschichte der damaligen Zeit stellen unter anderem Heiligenlegenden dar; sie zeigen den Rang des Weinhandels für die Kölner Stiftskirchen ebenso wie die grundsätzliche Bedeutung des Rheins als Verkehrsader des Frankenreichs; archäologische Quellen, vom Vf. stets in reichem Maß herangezogen, bestätigen dies (S. 206–208). „Eine Boomtown“ mit besonders schnellem Wachstum der Bevölkerung sei Köln im 9. Jh. insofern gewesen, als, bedingt durch die Sachsenkriege Karls des Großen, sich der fränkische Zentralraum nach Osten verschoben habe; dadurch habe der Rhein mit Dorestad an der Mündung als wichtigstem Exporthafen noch einmal erheblich an Bedeutung gewonnen (S. 216). Habe auch 400 Jahre nach dem Ende der römischen Herrschaft der Grundriss der Stadt immer noch aus demselben Viereck bestanden, das die Antike vorgegeben hatte, so könne das 9. Jh. dennoch als Zeit einer ersten (nachantiken) „Verdichtung“ gelten (S. 206). Hildebald, der biographisch schwer fassbare erste Erzbischof von Köln, wird als janusköpfig beschrieben. Auf den ersten Blick in seinen Projekten rückwärtsgewandt, stehe er vielfach für bedeutsame Aufschwünge mit langanhaltenden Folgewirkungen: der Bau des mächtigen Alten Doms, eines der größten Kirchenbauten des Frankenreichs; die Anlage der bischöflichen Residenz in den Ausmaßen einer Königspfalz; die Finanzierung einer der größten bischöflichen Bibliotheken des Frankenreichs (S. 190–202). Der letzte Abschnitt über Köln im Reich der Ottonen und Salier (900–1100) ist der umfangreichste. Neben der „Erfindung der 11.000 Jungfrauen“ (S. 274–281) und „dem halben Leichnam des hl. Severin“ (S. 282–299) geht es hier vor allem um Erzbischof Brun, dessen Lebenslauf der Vf. zwar als „einzigartig“ bezeichnet, seine oft beschworene Rolle als „Begründer des mittelalterlichen Köln“ aber stark relativiert. Die – stadtgeschichtlich richtungsweisende – Verlagerung in Richtung Rheinvorstadt dürfe „nicht zu einer einsamen Entscheidung des heldenhaften Erzbischofs stilisiert werden“ (S. 323); Bruns Prestigeprojekt sei nicht Groß St. Martin in der Rheinvorstadt, sondern St. Pantaleon im Südwesten der Stadt gewesen, wo er sich bestatten lassen wollte. Auch Bruns Rolle in der Errichtung der erzbischöflichen Stadtherrschaft – sichtbar zu machen vor allem in der Übertragung der Gerichtsrechte – wird einer kritischen Revision unterzogen; Brun habe, stadtgeschichtlich gesehen, eher indirekt gewirkt: Weil der Erzbischof die Stadt zu einer Gerichtsgemeinde gemacht habe, sei es auch zu ersten Schritten der Gemeindebildung gekommen. Die Schöffen des Kölner Hochgerichts, erstmals für das Jahr 1103 bezeugt, faktisch bereits viel früher wirksam, seien lange vor dem Rat im 13. Jh. die ersten Repräsentanten der Bürger gewesen (S. 327). Effektvoll bildet der berühmte Aufstand der Kölner Bürger gegen Erzbischof Anno II. 1074 den Schlusspunkt der Darstellung, wenngleich der Vf. die unmittelbaren Folgen der Erhebung stark zurückhaltend beurteilt (S. 428–437). Ein umfänglicher Anhang beinhaltet unter anderem eine Liste der Kölner Bischöfe und Erzbischöfe, ein Personen- und Ortsregister. Einen besonderen Hinweis verdienen die zwei (didaktisch hervorragenden) herausnehmbaren Karten (Köln um 620 bzw. um 850). Zweifellos stellt der Band ein Standardwerk zur Frühgeschichte Kölns dar. Auch kompositorisch ist die Darstellung unter ständigem Blick auf die allgemeine Geschichte des Franken- bzw. des ostfränkisch-deutschen Reichs, ohne diese zur Haupterzählung werden zu lassen, zu würdigen. Köln wird als „Mikrokosmos der damals bekannten Welt“ (S. 449) beschrieben, ohne doch den Ort zu überhöhen.

Jörg Schwarz

(Rezensiert von: Jörg Schwarz)