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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,1 (2024) *.

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Benjamin Hitz, Ein Netz von Schulden. Schuldbeziehungen und Gerichtsnutzung im spätmittelalterlichen Basel (VSWG Beiheft 256) Stuttgart 2022, Franz Steiner Verlag, 445 S., Abb., ISBN 978-3-515-13275-6, EUR 78. – H. liefert in seiner Baseler Habil.-Schrift ein gutes Stück spätma. Alltagsgeschichte. Dabei bedient er sich unterschiedlicher methodischer Ansätze, die an sich nicht neu sind, in ihrer Kombination allerdings originell und fruchtbringend. Einer davon ist die Netzwerkanalyse, wie sich im Titel der Arbeit ja bereits andeutet. Das alles ist komplex und voraussetzungsreich. Der Vf. hat sich in viele unterschiedliche Gebiete mit großem Erfolg eingearbeitet, um dieses riesige Thema zwischen zwei Buchdeckel zu bringen. Es geht um den Umgang mit Schulden, den H. überzeugend und lebensnah als ein gängiges und alltägliches Phänomen im spätma. Basel darstellt. H. behandelt sowohl den gerichtlichen Umgang mit Schulden wie den außergerichtlichen, wobei er klarstellt, dass die sozialen Beziehungen zwischen den Parteien sich gravierend ändern, sobald die Sache vor Gericht kommt (insofern hat sich in den letzten ca. 600 Jahren wenig verändert). Zum Thema Schulden ist erfreulich viel Material überliefert, das bedeutet allerdings, so viel, dass der Vf. es keineswegs in seiner Gänze verarbeiten kann. Konkret sind das die Akten des Baseler Schultheißengerichts, von welchen 160 Bände erhalten sind. H. wählt daraus zwei Jahrgänge, die Jahre 1455 und 1497, die er dann vollständig auswertet. Dass es bei einer solchen Menge von Daten einer einzelnen Person nicht möglich ist, alles zu berücksichtigen und auszuwerten, ist klar. Irgendeine Auswahl ist zwingend. Allein der Leser würde gern eine Begründung für gerade diese Auswahl erfahren, nach der ich vergeblich suche. Wäre die Wahl anders ausgefallen, hätte die Untersuchung mit hoher Wahrscheinlichkeit andere Ergebnisse. Das macht die Auswahl erklärungsbedürftig. H. bedient sich EDV-gestützter Methoden, die er im Anhang umfassend und gestützt auf Diagramme erläutert. Auf diese Weise hat er einerseits anhand von Hunderten – Tausenden? Wie viele es sind, erfährt der Leser nicht – von Fällen das große Ganze vor Augen, wobei er die verwendeten, nicht jedem rein historisch geschulten Leser geläufigen statistischen Methoden und Begriffe anschaulich erklärt (S. 382–387). Andererseits lässt H. im Verlauf seiner Abhandlung jedoch den Blick immer wieder auf die Mikrogeschichte schweifen. So erfahren wir etwa – das ist nur eine von vielen Geschichten – von einem Schweinekauf auf Kredit, bei dem beide Seiten irgendwie kalte Füße bekommen (S. 41f.). Anschaulich werden die Ergebnisse auch anhand der farbigen Karten im Anhang. So wird in der Tat handgreiflich, was wir uns unter einem Netz von Schulden vorzustellen haben und wie es sich in der zweiten Hälfte des 15. Jh. verändert hat. Besonders augenfällig wird die räumliche Ausweitung in Abb. 4.8. und 4.9., die zunehmende Verdichtung in Abb. 6.11 und 6.12. Überraschend unklar ist die Arbeit in einigen Punkten, die den Rechtshistoriker in mir ansprechen. Interessant ist, dass „Pfänder“ offenbar in der Regel besitzlos waren, anders als im Pfandrecht nach heutigem Recht. Was die Menschen in Basel im 15. Jh. taten, ließe sich mit heutigen Rechtsbegriffen dann in der Regel treffend als Sicherungsübereignung bezeichnen. Über die Verwertung dieser Pfänder erfahren wir aus den Quellen überraschend wenig (S. 72). Offen bleibt, warum das so ist. War diese Situation so unangenehm, dass niemand sie dokumentiert haben wollte? – Bei der Verwertung von Liegenschaften ist für mich nicht ganz klar, was mit „Prioritätsfolge“ gemeint ist (S. 35). Ist es ein ähnliches System wie heute, oder erfolgte eine teilweise Befriedigung aller Gläubiger? Völlig nachvollziehbar sagt H., es sei ein Anliegen gewesen, die übermäßige Belastung von Liegenschaften mit Immobiliarsicherheiten zu vermeiden (ebd.). Mir wird allerdings nicht klar, inwiefern es ein zentrales Register gab, das dafür ja notwendig gewesen wäre. War das Fertigungsbuch so etwas? Wenn ich H. richtig verstehe, ist dies nicht so (S. 68). Alles in allem: ein in mannigfaltigen Punkten niveauvolles und gelungenes Buch, auch in sprachlicher Hinsicht. Moderne Forschung zu einem grundlegenden klassischen Thema.

Bernd Kannowski

(Rezensiert von: Bernd Kannowski)