DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,1 (2024) *.

Sie bleibt nach Erscheinen der Printausgabe online verfügbar.

Anette Löffler (Bearb.) / Nils Jörn (Hg.), Katalog der mittelalterlichen Makulatur im Archiv der Hansestadt Wismar. Teil I: Die abgelösten Fragmente (Schriftenreihe der „Freunde und Förderer des Archivs der Hansestadt Wismar e.V.“ 15,1) Wismar 2022, callidus Verlag, 585 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-940677-53-2, EUR 99. – Das Archiv der Hansestadt Wismar legt in einem Band die Ergebnisse einer Bearbeitung der im Archiv (ehemals: Ratsarchiv) und im Stadtgeschichtlichen Museum befindlichen abgelösten 278 Fragmente ma. Hss. vor. Als Bearbeiterin hat das Archiv in L. eine erfahrene Forscherin gewonnen, die seit ihren Anfängen im Stadtarchiv Reutlingen (1993) Fragmentenbestände besonders aus Chemnitz, Frankfurt-St. Georgen, Görlitz, Königsberg und Schwerin gesichtet und beschrieben hat. Für das Stadtarchiv Wismar hat L. berechnet, dass 154 Fragmente aus Hss. stammen, die der Liturgie dienten; dem stehen 114 Fragmente aus anderen Texten gegenüber (S. 18). In der Einleitung (S. 7–24) sind Hinweise zur Geschichte der Klöster und Kirchen Wismars zu finden, aus denen die für Einbände verwendeten Hss. gekommen sein können. Ein Exkurs zu den abgelösten Fragmenten des Museums (S. 23f.) schließt sich an. Die Arbeit ist nach der Anzahl der dargestellten Fragmente wohl die gegenwärtig umfangreichste Arbeit zum Fragmentenbestand einer einzelnen Einrichtung. Angesichts der Tendenz, derartige Sammlungen nur noch digital darzustellen, ist den Hg. zu danken, dass sie sich für die farbige Darbietung im Druck entschieden haben. Die Bearb. hat in Einzelveröffentlichungen (vgl. S. 583) herausragende Stücke des Bestands ausführlich beschrieben, wie etwa philosophische Quästionen der Universität Heidelberg (Nr. 267), eine Spalte des Lübischen Rechts in der systematisierten Form Albrechts von Bardewik (Nr. 262) und Fragmente aus Jakob van Maerlants Der Naturen bloeme wie des Dietschen Doctrinale (Nr. 252–259). Für Letztere konnte L. die Zusammengehörigkeit mit Fragmenten in der Univ.-Bibl. Leiden nachweisen. Diese Ergebnisse zeigen die Bedeutung der systematischen Fragmentenforschung, so das noch nötig wäre. Je mehr derartige Bestände erschlossen werden, umso mehr können wir über das Schicksal von Hss. erfahren, die durch Buchbinder ein Weiterleben an verschiedenen Orten erhielten. Bei der praktischen Benutzung des Werks zeigen sich jedoch Probleme: Umgelegte Blattteile und störende Papieranhaftungen (Nr. 45, 49, 119, 122) hätte vielleicht ein Restaurator beseitigen können. Von den meisten Fragmenten ist entweder die recto- oder die verso-Seite abgebildet, eine Systematik ist hierfür nicht erkennbar. Am fehlenden Platz kann es nicht gelegen haben, denn manchmal ließe die Abbildung durchaus Raum für ein weiteres Bild gleicher Größe. Einem Bildband, der schöne Schriften zeigen will, hätte es angestanden, eine Zierinitiale ohne den Rest der Seite abzubilden (wie etwa S. 426), doch erhebt die Publikation durchaus den Anspruch, wissenschaftlichen Standards zu genügen. Sorgfältig wird nachgewiesen, mit welchem anderen Fragment zusammen ein Blatt zu einer Hs. gehört hat. Bei diesen Fragmentketten wäre es sinnvoll gewesen, alle Abbildungen in übereinstimmender Größe zu zeigen und zu versuchen, die Reihenfolge aufzuzeigen, in der sich die Blätter in der ursprünglichen Hs. befanden. Ein Personen-, Orts- und Sachregister ist beigegeben (S. 561–568), und liturgische Register (S. 569–575), die auch die Nummern der Analecta Hymnica Medii Aevi zeigen, erschließen den Reichtum des Fundus für die Liturgiewissenschaft. Es ist zu wünschen, dass es der Stadt Wismar gelingt, ihr Vorhaben, als Teil 2 die nicht abgelösten Fragmente in ihren Beständen in ähnlicher Weise zu präsentieren, umzusetzen und zu finanzieren.

Ulrich-Dieter Oppitz

(Rezensiert von: Ulrich-Dieter Oppitz)