Die Inschriften der Stadt Meißen. Gesammelt und bearb. von Cornelia Neustadt / Martin Riebel unter Mitwirkung von Henning Ohst / Sabine Zinsmeyer, Teil 1: Einleitung, Quellen, Literatur, Register, Zeichnungen und Abbildungen, Teil 2: Inschriftenkatalog (Die Deutschen Inschriften 113 = Leipziger Reihe 8) Wiesbaden 2022, Ludwig Reichert Verlag, 943 S. in 2 Bden., 99 Tafeln, ISBN 978-3-7520-0719-0, EUR 120. – Die Edition der Inschriften des MA und der frühen Neuzeit (bis 1650) (DIS) wird als interakademisches Projekt seit Jahrzehnten mit großem Erfolg betrieben. Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hat schon in der Zeit der DDR eine Arbeitsstelle in Halle (Saale) betrieben, die bis heute grundlegende Bände für Naumburg und Merseburg, jüngst auch für Magdeburg und Wittenberg vorgelegt hat. In den letzten Jahren sind nun auch Inschriftenarbeitsstellen für Sachsen (zunächst in Dresden, jetzt in Leipzig) und für Thüringen (in Jena) eingerichtet worden. Die Arbeit in Sachsen wurde in Görlitz und in Meißen begonnen, und für Meißen liegt nun das Ergebnis in zwei Teilbänden vor, die insgesamt 539 erhaltene und verlorene Inschriften von 1250 bis 1650 enthalten. In den Zeitraum bis 1500 gehören 192 Inschriften. Dieses Werk ist zweifellos ein Meilenstein für die Epigraphik in Sachsen (allerdings ohne ein einziges Zeugnis aus dem Hoch-MA, obwohl Meißen seit 968 Bischofssitz war), aber auch für die Erforschung der Stadt Meißen und ihrer geistlichen Institutionen, also eines Zentralorts sächsischer und mitteldeutscher Geschichte. Die Kunstdenkmäler der Stadt und des Burgbergs sind schon 1917 und 1919 durch Cornelius Gurlitt bearbeitet worden. Eine wichtige Ergänzung legte dann Matthias Donath mit seinem Band über die Grabmonumente im Dom zu Meißen (2004) vor. Ein erheblicher Teil der Meißner Inschriften vor allem der Domkirche war also schon seit längerem erfasst, gleichwohl bieten die vorliegenden Bände nun eine größere Zahl von Inschriften, legen diese auf einem höheren editorischen Niveau vor und bieten zudem für jedes Zeugnis einen umfassenden epigraphischen und historischen Kommentar, nicht selten auch mit Korrekturen zu dem ebenfalls reich kommentierten Grabschriftenband von Donath. Dass zahlreiche Inschriften darüber hinaus in vorzüglichen Abbildungen präsentiert werden, sei eigens hervorgehoben. Im Lauf der letzten Jahrzehnte ist das Niveau der Inschriftenbände stetig gestiegen, wie man leicht feststellen kann, wenn man die älteren Bände über die Bischofsstädte Merseburg und Naumburg mit den vorliegenden vergleicht. Dies äußert sich einerseits in der Präsentation der Inschriften, werden doch lateinische Texte durchweg auch mit Übersetzung geboten, andererseits auch in der eingehenden hilfswissenschaftlichen und inhaltlichen Kommentierung. Die Bände liefern dank der zahlreichen Grabsteine von Bischöfen sowie von Dignitären, Kanonikern und Vikaren Grundlagen für die Personalgeschichte des Domkapitels, das von mir für die Germania Sacra bearbeitet wird. Ein besonderes Glanzstück stellt die Bearbeitung der Fürstenkapelle vor dem Westportal des Doms und der anschließenden Georgskapelle dar, die von 1428 bis 1539 als Grablege der Wettiner als Kurfürsten und Herzöge von Meißen dienten. Als herausragend sind die aufwendige Grabtumba des ersten Kurfürsten Friedrich des Streitbaren und die Grablege Herzog Georgs und seiner Gemahlin Barbara, die zudem mit einem bemerkenswerten Cranach-Triptychon ausgestattet ist, zu nennen. Dass nach der Leipziger Teilung von 1485 Kurfürst Friedrich der Weise eine neue Grablegetradition in der Schlosskirche zu Wittenberg begründete, ist nun im Inschriftenband Stadt Wittenberg (DIS 107, 2019) umfassend dokumentiert. Der große Umfang der neueren Inschriftenbände erklärt sich auch durch die immer umfangreicheren Einleitungen, gehört es doch mittlerweile zum Standard, ausführlichere historische Abrisse des behandelten Ortes und der wichtigsten Inschriftenstandorte zu bieten, hier also von Dom (mit Fürstenkapelle und Georgskapelle, die rechtlich nicht zur Domkirche gehören), auf den allein 221 Inschriften entfallen, Augustiner-Chorherrenstift St. Afra, Franziskanerkloster sowie weiteren Pfarrkirchen und Kapellen. Weiter wird die Überlieferung der Inschriften näher erörtert, unterschieden nach kopialer und originaler Überlieferung (178 Inschriften vor allem der frühen Neuzeit sind nur kopial überliefert, andere, original überlieferte Inschriften können durch Abschriften ergänzt werden), und schließlich werden die Inschriften auch epigraphisch eingeordnet. Immer weiter ausdifferenziert wurden im Lauf der Jahrzehnte die Register (Standorte, Namen, Wappen, Berufe, Stände, Titel, Initien, Formeln usw.), die sowohl dem historisch als auch dem philologisch oder epigraphisch arbeitenden Benutzer ein Optimum an Informationen bieten. Während sich die Darstellung der Inschriftenstandorte bislang zumeist auf eine schematische Karte beschränkte, werden nun auch einzelne Standorte wie Dom oder Fürstenkapelle mit genauer Eintragung der erfassten Inschriften dokumentiert. Der Hinweis auf die historische Bedeutung Meißens als Residenz der Markgrafen von Meißen bzw. Kurfürsten und Herzöge von Sachsen, gekrönt vom Bau der Albrechtsburg in der zweiten Hälfte des 15. Jh., und als Sitz von Bischof und Domkapitel ist schon genügend geeignet, den Rang dieser Publikation zu unterstreichen. Hinzu kommt aber, dass Meißen nicht nur ein Zentrum weltlicher und kirchlicher Macht war, sondern dass die Altstadt zu den besterhaltenen in Sachsen gehört, weshalb die systematische Erfassung der Inschriften in der Stadt nun nicht nur Licht auf Fürsten und hochrangige Kleriker wirft, sondern auch auf Meißener Bürger und ihre Wohnkultur. Jeder Band des Vorhabens DIS bietet neue, bislang unbekannte Texte, stellt der Forschung diese Quellen editorisch bestens aufbereitet zur Verfügung und leistet zudem einen Beitrag, um die in situ vorhandenen Inschriften vor dem Verfall oder dem endgültigen Verschwinden zu sichern. Aber in der langen Reihe der Inschriftenbände gibt es nicht alle Tage solche herausragenden Höhepunkte wie die Meißen-Bände, mit deren Veröffentlichung die Bearbeiter der Leistungskraft der Leipziger Arbeitsstelle ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt haben.
Enno Bünz
(Rezensiert von: Enno Bünz)