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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 80,1 (2024) *.

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Stephan Pongratz, Gottes Werk und Bosos Beitrag. Die Bewältigung des Alexandrinischen Schismas (1159–1177) in den Papstviten des Kardinals Boso (Papsttum im mittelalterlichen Europa 11) Wien / Köln 2023, Böhlau, 557 S., 7 Abb., 3 Tabellen, ISBN 978-3-412-52665-8, EUR 90. – Die unter der Betreuung von Knut Görich erarbeitete Diss. von 2021 kann nach nur zwei Jahren bereits im Druck vorgelegt werden und stellt die Forschung zu dem so faszinierenden Werk Kardinal Bosos, einer der bedeutendsten historiographischen Überlieferungen aus dem 12. Jh., auf ein neues Fundament. Eine kluge Einleitung, in der gleich zu Beginn mit dem Begriffspaar „Geschichte als Argument“ ein entscheidendes Movens für den Entschluss zur Abfassung dargelegt wird, im Anschluss der Forschungsstand Erläuterung findet und der historische Rahmen unter dem Schlagwort „Autorität in der Krise“ ebenso knapp wie treffend auf den Punkt gebracht wird, steht am Anfang von sechs thematischen Blöcken. Darin wird – ausgehend von einer gründlichen Analyse sowohl der Persönlichkeit des Autors wie auch des Werks selbst – ein Weg eingeschlagen, der sozusagen vom grundlegend Allgemeinen hin zum Spezifischen und zum Detail einer Auswertung führt. Dankbar ist man für die in jüngeren Arbeiten vielfach zum Standard gewordene Methode, das in den Einzelkapiteln detailreich Ausgebreitete in Form von Zwischenfazits bzw. auch breiter angelegten Zusammenfassungen immer wieder zu resümieren und damit der Leserschaft in ebenso überzeugender wie zugleich verständlicher Form aufzubereiten. Im Hinblick auf Bosos Leben, Herkunft und Karriere wird die bereits 1936 in Fritz Geisthardts Biographie vermutete Herkunft aus dem toskanisch-pisanischen Raum zur Gewissheit erhoben, zugleich sein Wirken an der Kurie mit den entscheidenden Aufgaben des für die päpstlichen Finanzen (und damit die Territorialherrschaft des Papstes) zuständigen Kämmerers wie dem Aufbau eines persönlichen Netzwerks, in dem er schon früh mit Kanzler Roland Bandinelli, der als Papst Alexander III. so recht zu Bosos „Lebensmenschen“ werden sollte, umfassend beleuchtet. Die geschickte Einbettung seines in zwei Phasen, zunächst in den 1160er Jahren unter dem Eindruck des vermeintlichen Triumphs Alexanders III. nach seiner Rückkehr nach Rom 1165, dann ab etwa 1173/74 bis zum zweiten triumphalen Empfang des Papstes in Rom im Oktober 1178, abgefassten historiographischen Werks in die ehrwürdige Tradition des Liber pontificalis erlaubte es dem Kardinal, aus dem „Vorspann“ der Papstgeschichte ab dem 10. Jh. ganz entscheidende Grundlagen für seine Argumentation (vgl. dazu die Ausführungen über den fast wörtlich ins Werk eingefügten Eid Ottos des Großen, der zu Recht als eine Art „Gründungsdokument“ gelten darf, S. 267–272) in der Schilderung der Vita Alexanders III. zu nehmen. Und genau in diesem Kontext gelingt es dem Autor mit den darstellerischen Elementen von humiliatio und exaltatio eine aus seiner Sicht ganz wunderbar geeignete Grundstruktur zu entwickeln, päpstliche Demut auf der einen, Stolz des Antagonisten auf der anderen Seite. Die eigentlichen historischen Entwicklungen werden in ebenso gründlicher wie detailreicher Weise im Kontext der beiden Kapitel „Geistliche Autorität“ (S. 111–212) und „Weltliche Autorität“ (S. 213–377) ausgebreitet, wobei durch zahlreiche thematische Einschübe, etwa zu den päpstlichen Legationen (S. 186–195) oder eindrucksvoll gelungene Skizzen zu den wichtigsten Gegen- bzw. Mitspielern des Papstes (Heinrich II. von England, die Normannen, Manuel I. Komnenos, die Lombarden), eine ganz entscheidende Vertiefung erreicht wird. Nicht zuletzt in Entsprechung zu einer der wesentlichsten Aufgaben, die Boso im Rahmen der Kurie ausführte, wird als eigener Großabschnitt die „territoriale Autorität“ des Papstes, und gleichsam als Fokus dieses Bereichs die römische Stadtherrschaft, die bereits ab der Bildung der Stadtkommune in den 1140er Jahren und unter Alexander III. weiterhin als alles andere als gefestigt gelten konnte, in den analytischen Blick genommen. Dem vor allem aus der mediävistischen Forschung (aber nicht nur aus dieser) vertrauten Phänomen der Zurschaustellung von Herrschaft und Autorität in Form von Ritualen und Inszenierungen gewidmet ist die eindrucksvolle Darstellung der beiden adventus Alexanders III. in Rom 1165 und 1178. In der unter dem an die Einleitung gemahnenden Schlagwort „Rechtfertigung durch Geschichte“ gebotenen Zusammenfassung der ebenso monumentalen wie mustergültigen Arbeit erfahren die in höchster Vielfalt ausgebreiteten Argumentationslinien ihre Fokussierung und Präzisierung. Dabei kann auch nochmals herausgestrichen werden, in welcher Weise es Kardinal Boso in seinen Ausführungen gelingt, durch das Verschweigen von Geschehnissen, die für das Papsttum und seine Autorität alles andere als förderlich waren, seinem eigentlichen Ziel zu dienen, den letztlichen Triumph der ecclesia über so viele Widrigkeiten und gegen so geballte Gegenkräfte zu schildern. – So bleibt zu konstatieren, dass das gesamte Buch – abgesehen von einigen unglücklichen Formulierungen (S. 386: der Papst beleiht niemanden mit Gebieten, sondern führt Belehnungen durch) oder wenigen Fehlern (S. 388: irriger Verweis auf Kapitel 5.3.2, statt richtig: 5.2.2; S. 447: „Wiederstand“) – geradezu ein Musterbeispiel für moderne Mediävistik ist.

Ferdinand Opll

(Rezensiert von: Ferdinand Opll)