Kathrin Kelzenberg, Heiliglandfrömmigkeit im Nordwesten des Reiches. Die Herzogtümer Brabant, Geldern, Jülich und Kleve im späten Mittelalter (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 27) Heidelberg 2022, Univ.-Verlag Winter, 348 S., ISBN 978-3-8253-4835-9, EUR 45. – In dieser Heidelberger Diss. bei Nikolas Jaspert verfolgt die Vf. die Frage, wie sich der Bezug zum Heiligen Land in der Laienfrömmigkeit einer ausgewählten Großlandschaft, des Niederrheins, konkret gestaltete. Niederrhein meint hier vornehmlich die drei Grafschaften bzw. Herzogtümer Geldern, Jülich und Kleve, während Brabant weniger intensiv untersucht wird, da dieses Herzogtum ab 1415 bzw. 1430 von den burgundischen Herzögen aus dem Haus Valois regiert wurde. Die Hochstifte Köln, Utrecht und Münster bleiben außer Betracht. Ob damit tatsächlich ein „Verdichtungsraum der Heiligland- bzw. Jerusalemfrömmigkeit“ (S. 25) ermittelt werden kann, eventuell so etwas wie eine „Frömmigkeitslandschaft“ (S. 46), bleibe dahingestellt, zumal das Oversticht Utrecht außen vor bleibt, das für die Entstehung der Devotio moderna und die Windesheimer Kongregation so entscheidend war und daher, wenn man so will, auch eine Frömmigkeitslandschaft bildete (berührt wird die Devotio moderna aber immer wieder). Es geht der Vf. um eine Verbindung der Mentalitätsgeschichte mit der Frömmigkeitsgeschichte. Die Mentalitätsgeschichte fragt nach kollektiven Einstellungen, was in den 1990er Jahren in der jüngeren Kulturgeschichte aufgegangen ist, die wiederum dezidiert die ‘sozialen Praktiken’ zum Gegenstand hat, woraus sich jüngst die Praxeologie als eigenständiges, von Soziologie und Philosophie beeinflusstes Arbeitsfeld der Geschichte entwickelte. Die Vf. hat dieses durchaus wahrgenommen, bezieht es aber nur am Rande in ihre Überlegungen ein (S. 20 mit Anm. 61, S. 38 mit Anm. 174). Vielleicht hätten sich bei einer stärkeren Beachtung dieses neuen Interessengebiets Nuancierungen hinsichtlich der Frömmigkeitspraxis ergeben. Die Vf. kann nämlich ein differenziertes Ergebnis präsentieren. Gegenstand der Untersuchung sind die verschiedenen Formen der Jerusalem- und Heilig-Land-Verehrung, wie sie sich in Pilger- bzw. Wallfahrten sowie deren Fixierung in der Memoria, in Heilig-Grab-Nachbauten, Kreuzwegen, Kreuzigungsgruppen und Kalvarienbergen in der Kirchenausstattung und nicht zuletzt in der Förderung geistlicher Gemeinschaften niederschlugen, die sich faktisch oder ideell vom Heiligen Land herleiteten. Eingelöst wird dieses Programm in drei großen Kapiteln, denen eine „Einbettung in den historischen Kontext“, eine kurzgefasste Herrschafts- und Landesgeschichte der in Rede stehenden Fürstentümer (Kap. 2, S. 43–82), vorgeschaltet ist. Am Anfang steht die bemerkenswerterweise ohne Konsens der Familie unternommene Pilgerreise Herzog Johanns I. von Kleve, der nach seiner Rückkehr keine Stiftungen zur Memoria tätigte, weswegen anzunehmen ist, dass es sich bei ihr um einen Ausdruck privater Frömmigkeit handelt (S. 99–141). Kürzer werden die Reisen Herzog Arnolds von Geldern 1451/52 (S. 141–147) und Johanns van Broekhuizen (S. 147–151) behandelt. Dass es noch weitere Jerusalemreisen gab wie die Jungherzog Arnolds von Geldern und die bekannte des Arnold von Harff 1496–1498, berücksichtigt die Vf. sehr wohl, um ihre These einer „frommen affektiven Grundhaltung“ (S. 155) zu belegen, die es in der Ober- und Führungsschicht gegeben habe. Eingehend werden in Kap. 4 (S. 157–226) die verschiedenen baulichen und künstlerischen Formen der Vergegenwärtigung der Leiden Christi untersucht. Etwas modernisierend könnte man von einer multimedialen Inszenierung sprechen. Methodisch basiert das Kapitel auf der Wiedergabe kunsthistorischer Beschreibungen der Ausstattungsstücke, mitunter passagenweise im distanzierenden Konjunktiv. Bezeichnend ist, dass die Kreuzwegandachten nicht von der Amtskirche entwickelt wurden, sondern Ausdruck der Laienfrömmigkeit waren (S. 205). Als ein Ergebnis kann die Vf. eine Tendenz zur Individualisierung der Frömmigkeit feststellen (S. 223). Einem Katalog gleich kommt Kap. 5 (S. 227–309), das den Niederlassungen der geistlichen Gemeinschaften im Untersuchungsraum gilt. Nacheinander werden der Templerorden, der Orden vom Heiligen Grab, die Franziskaner und die Karmeliter im Hinblick auf ihre Gründung und Förderung untersucht. Es geht um das Erkennen von Präferenzen, Häufungen oder Besonderheiten und einmal mehr um die soziale Einordnung derjenigen, die sich als Förderer erwiesen. Es sagt beispielsweise etwas aus, wenn das Heilig-Geist-Kloster in Uedem, das zum Orden vom Heiligen Grab gehörte, trotz Zulassung (weniger Förderung) des klevischen Herzogs mangels Personal und finanzieller Ausstattung einging (S. 257). Als Besonderheit sei das von den Karmelitern getragene Hospital im geldrischen Hattem genannt, das u.a. zur Versorgung des geldrischen Hofs und zusammen mit anderen Niederlassungen der Aufsicht über die gräflichen Güter dienen sollte (S. 286f.). Für Graf Rainald I. von Geldern lässt sich überdies erkennen, dass er in Ansätzen beabsichtigte, so etwas wie eine „geistliche Hauptstadt“ in seinem Territorium zu schaffen (S. 291). Drei Karten und zwei allerdings von zahlreichen Fragezeichen und Leseunsicherheiten gekennzeichnete Abdrucke von Urkunden zur Stiftung von Frühmessen in Kalkar von 1445 und 1509 ergänzen die Untersuchung. Die zur Schau gestellte Frömmigkeit spielte nicht nur im Rahmen der Statuskonkurrenz eine Rolle (in diesem Sinne sind die zahlreichen Wechselbeziehungen zur ritterlich-höfischen bzw. stadtadligen Kultur hervorzuheben), sondern war auch Ausdruck einer persönlichen Haltung. Die Bevorzugung eines bestimmten ‘Mediums’ gibt Präferenzen wieder, was in gegenläufiger Hinsicht bis hin zur Auflassung eines Klosters reichen konnte (siehe Uedem). Letztlich wird das Bild punktueller bzw. individueller.
Harm von Seggern
(Rezensiert von: Harm von Seggern)