Julia Exarchos, Liturgy, Society, and Politics. Liturgical Performance and Codification in the High Middle Ages (Historische Studien 516) Husum 2021, Matthiesen Verlag, 359 S., ISBN 978-3-7868-1516-7, EUR 49. – Die Kölner Diss. möchte am Beispiel des Doppelbistums Cambrai-Arras aufzeigen, dass soziale, politische und ideologische Faktoren die Ausführung und Kodifikation bischöflicher Weihehandlungen im hohen MA beeinflussten (S. 28 und 154). Das Beweisziel erscheint inhaltlich etwas banal, ist aber methodisch anspruchsvoll, da die causa scribendi von Pontifikalien in der Regel nicht expliziert wird. Die Vf. entscheidet sich gegen die Analyse einer exemplarischen Hs., obwohl sie mit dem Ms. 84 der Bibliothèque municipale von Boulogne-sur-Mer ein hierfür bestens geeignetes Manuskript in der Hand gehabt hat (vgl. insbesondere S. 193 und 257, ferner S. 127 Anm. 28, S. 129 Anm. 36 sowie S. 249 Anm. 289 mit fehlerhafter Transkription). Statt der ca. 1094/96 angelegten und dann etwa zwei Jahrzehnte lang von der bischöflichen Entourage intensiv redigierten ‘one-volume library’ Lamberts von Arras untersucht sie – nach einer umständlichen Hinführung – drei Ordines, bei denen die (kirchen-)politische Dimension der Liturgie unmittelbar auf der Hand liegt: die Weihe eines Kriegsbanners (S. 189–202), die Weihe eines römischen Kaisers bei der Krönung (S. 220–237) und die Weihe eines neu gewählten Abtes (S. 248–260). In ausführlicher Auseinandersetzung mit der Literatur fahndet E. nach Anzeichen dafür, dass die schriftliche Fixierung von Formularen, die außerhalb der Diözese Cambrai-Arras gar nicht, selten oder erst später überliefert sind, eine bewusste Reaktion auf die politischen Konflikte war, welche die 1093/94 erfolgte Auflösung des Doppelbistums begleiteten. In zwei Fällen bleiben die Indizien vage: Das Formular zur Weihe eines Kriegsbanners (Boulogne-sur-Mer, BM, Ms. 84, fol. 7v) könnte mit der zunehmenden Beteiligung von Bischöfen an den Kriegszügen des französischen Königs zusammenhängen (S. 201f). Das Formular zur Weihe eines römischen Kaisers (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibl., Ms. 141, fol. 166r–168v) könnte den Bischöfen von Cambrai-Arras dazu gedient haben, ihren eigenen Diözesanklerus auf die „Reichszugehörigkeit“ des Doppelbistums einzuschwören (S. 230–234). Belastbarer sind die Ergebnisse im Hinblick auf das Gehorsamsversprechen, das Bischof Lambert von neugewählten Äbten vor deren Ordination verlangte. Es sollte offenkundig seine prekäre Autorität als Bischof einer abgespaltenen Diözese untermauern (S. 256). Ohne andere Erklärungsansätze überhaupt getestet zu haben, sieht die Vf. ihre Ausgangshypothese zusammenfassend zwar bestätigt (S. 271f). Verallgemeinernde Aussagen über Anlass und Ausmaß politisch motivierter Einflüsse auf die Vorschriften für bischöfliche Benediktionen lassen sich anhand der bloß punktuellen Ergebnisse aber nicht treffen. Dass dies einem falsch gewählten Untersuchungsansatz geschuldet ist, dämmert E. am Ende selbst, wenn sie einräumt: „The [pontifical] books must be understood in the light of their whole composition“ (S. 267).
Tillmann Lohse
(Rezensiert von: Tillmann Lohse)