Guido Faba, Gemma purpurea. Edizione critica a cura di Michele Vescovo (Edizione nazionale dei testi mediolatini d’Italia 63 – serie 1,33) Firenze 2022, SISMEL – Edizioni del Galluzzo, XII u. 231 S., ISBN 978-88-9290-153-7, EUR 58. – Das ungebrochene Forschungsinteresse an der ma. Briefkultur führt nicht nur zur Neuerschließung bislang unbekannter, sondern auch zu einer Reevaluation grundsätzlich bekannter, aber noch nicht nach neuen Standards ausgewerteter Quellen. In diesen Bereich stößt die 2019 an der Univ. Venedig vorgelegte Diss. vor, indem sie den Text der Gemma purpurea des Notars und Rhetoriklehrers Guido Faba in eine neue Edition überführt. Faba, in der ersten Hälfte des 13. Jh. in Bologna tätig, zählt dank seiner überlieferten Schriften zum Rede- und Briefstil zu den wichtigsten Vertretern der Etablierung der spätma. Ars dictaminis. Die Gemma bietet zahlreiche Beispiele für die korrekte schriftliche Anrede von Personen, abhängig von der sozialen Stellung, vom Verhältnis der Parteien und vom Thema. Da auch Muster in italienischer Sprache angeboten werden, ist die Gemma zudem eines der frühesten Beispiele für die Akzeptanz der Volkssprache in der höheren Briefkultur. Die Bedeutung des Textes wurde von der Forschung früh erkannt; Ludwig Rockinger nahm bereits 1863 zwei Münchner Zeugen in seine Sammlung von Brieflehrtexten auf, und Arrigo Castellani schlug 1955 ein erstes Stemma mit zwei Hauptzweigen vor (Studi di filologia italiana 13, 1955, S. 5–78). Dieses Stemma erweitert V. nun und rekonstruiert aus den rund 20 von ihm zusammengetragenen Zeugen den Archetyp ω. Die Edition beginnt mit einer Einleitung zu Fabas Leben und Werk sowie zu den stilistischen Eigenheiten und dem Aufbau der Gemma. Es folgen die Beschreibung der Hss. und die Herleitung des Stemmas. Nach der Bibliographie wird der Text des Archetyps selbst geboten, gefolgt von zwei Appendices: zum einen der auf der Gemma aufbauende 6. Teil des Compendium rhetorice venustatis mit Verweisen auf die vorbildgebenden Stellen der Gemma, zum anderen eine parallele Darstellung von Abschnitten der Gemma und gleichförmigen Paragraphen der Faba zugeschriebenen Summula dictaminis, hier mit einer kurzen, kodikologischen Erläuterung. Abschließend finden sich drei Indices der genutzten Manuskripte, modernen Autoren und ma. Werke. Dieser Aufbau erschwert aus subjektiver Sicht etwas die Orientierung zwischen den deskriptiven, editorischen und referenzierenden Teilen der Studie, doch treffen hier wohl Gewohnheiten aufeinander, über die sich kaum streiten lässt. Gewichtiger sind die manchmal etwas zu kurz geratenen Argumentationen. Beispielsweise bleibt unklar, warum in den Appendices der Vergleich der Gemma mit dem jeweils anderen Text so unterschiedlich aufgebaut ist, obwohl in beiden Fällen die Übereinstimmungen und Abweichungen von ähnlicher Qualität sind. So bekommt das Vertrauen in die Arbeit leider ein paar kleine Risse. Davon abgesehen ist hier aber ein sehr wichtiger Beitrag zur Briefforschung und zweifellos das neue Standardwerk zur Gemma vorgelegt worden.
Lena Vosding
(Rezensiert von: Lena Vosding)