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Markus Krumm, Herrschaftsumbruch und Historiographie. Zeitgeschichtsschreibung als Krisenbewältigung bei Alexander von Telese und Falco von Benevent (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 141) Berlin / Boston 2021, De Gruyter, XIII u. 447 S., ISBN 978-3-11-072001-3, EUR 119,95. – Die Münchener Diss. analysiert, wie die Ereignisse und Entwicklungen rund um die Herrschaftsetablierung Rogers II. in Süditalien in der Ystoria des Alexander von Telese und im Chronicon des Falco von Benevent verarbeitet wurden. Beide Texte, die K. dezidiert als Zeugnisse der Zeitgeschichtsschreibung liest, stellen die zentralen Quellen für die von ihren Autoren als krisenhaft empfundene Phase zwischen 1127 und 1139 dar. Von der Forschung durchaus beachtet, sind beide Autoren zum einen aber „hinter den Gegenständen, über die sie berichten, Alexander hinter dem König und Falco hinter der Stadt Benevent“, oft beinahe verschwunden (S. 20); zum anderen sind die Autoren einander meist in einer Weise gegenübergestellt worden, die eine Interpretation ihrer Werke vorbestimmte: einerseits als Vertreter einer „königstreuen“ (Alexander) und andererseits einer „anti-monarchisch“ kommunalen (Falco) Position zum Aufstieg Rogers II. In seiner Einleitung (S. 1–46) zeigt K., dass diese Klassifikation ihre Wurzeln in der Meistererzählung der zwei Italien hat und wie diese die Forschung zu Süditalien, insbesondere die Fragestellungen an die Ystoria und das Chronicon, weiter prägt (S. 21–30). Daraus leitet er ein „strukturelles Desinteresse der Forschung an den lokalen Entstehungskontexten“ (S. 21) der beiden Texte ab und legt folgend unter Einbeziehung verschiedener sozial- und literaturwissenschaftlicher Ansätze aus der englisch- und deutschsprachigen Forschung dar, warum er die „lokalen Momente“ der Texte und das Umfeld ihrer Autoren ins Zentrum seiner Betrachtung rückt (S. 34f.). Diese lokalen Perspektiven und Reaktionen auf den Herrschaftsumbruch untersucht K. in zwei Teilen, die sich erst der Ystoria (S. 47–172), dann dem Chronicon (S. 173–344) zuwenden. Untergliedert sind diese Teile in je drei Kapitel, in denen zunächst jeweils die „krisenhafte Gegenwart“ der Autoren als Entstehungskontext (S. 49–58/175–206) mitsamt den durchaus vielschichtigen causae scribendi diskutiert wird (als Anlass des Schreibens eine „Krise des Klosters“, S. 59–104, bzw. eine „Krise des Wissens“, S. 207–269). Weiter werden die pragmatische Funktion der Werke, die sozialen Netzwerke der Autoren sowie die Frage analysiert, welchen Einfluss sie sich von ihrem Schreiben auf die lokalen krisenhaften Ereignisse des Herrschaftsumbruchs erhofft hätten. K. zeigt außerdem, wie Alexander und Falco verschiedene Krisen – auch mögliche, in der Zukunft liegende – der (lokalen) Königs- (S. 105–172) bzw. Papstherrschaft (S. 271–344) bewerteten. Mit diesem Aufbau erbringt K. insgesamt nicht nur eine umfassende Neuanalyse der Werke, sondern leistet auch wichtige Beiträge zur lokalhistorischen Forschung zu Telese und Benevent, deren Verstrickungen in (über)regionale Entwicklungen er ebenso sorgfältig aufdröselt. Hervorzuheben ist auch der viergliedrige Anhang, der erstens über hundert Corrigenda von Lesarten und Wortauslassungen zur Edition der Ystoria auf Grundlage des Codex Barcelona, Biblioteca de Catalunya, Ms. 996, durch L. De Nava (1991, vgl. DA 49, 273f.) bietet, zweitens die Regesten zu Urkunden Falcos mitsamt Deperdita auflistet, drittens die Belege aller nachweisbaren Notare in Benevent und viertens einen Exkurs zur Istoria d’Allifo bringt, die bisher als neuzeitliche Fälschung galt, jetzt aber als übersehenes Werk des Alexander wahrscheinlich gemacht werden kann. K.s Arbeit wird die Grundlage für jede weitere Beschäftigung mit den beiden Geschichtsschreibern und dem weiteren lokalen Entstehungskontext ihrer Werke sein.

Theresa Jäckh

(Rezensiert von: Theresa Jäckh)