Mechthild Schulze-Dörrlamm, Die Einwanderung von Angelsachsen ins Frankenreich aus archäologischer Sicht. Zu den Spuren der „angelsächsischen Mission“ im ausgehenden 7. bis mittleren 9. Jahrhundert (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 158) Mainz 2022, Verlag des Römisch-Germanischen Zentralmuseums, VIII u. 130 S., 61 Abb., ISBN 978-3-88467-348-5, EUR 45. – Die Monographie untersucht die im späten 7. Jh. einsetzende und im engeren Sinn doch wohl bereits Ende des 8. Jh. endende sogenannte „angelsächsische Mission“. Darunter versteht die historische Forschung die Fortsetzung der etwas älteren irisch-insularen Mission, die mit Columban und dem Kloster Luxeuil zu verbinden ist. Kernstück ist ein kommentierter Katalog von 85 Persönlichkeiten angelsächsischer oder mutmaßlich angelsächsischer Herkunft, die im Frankenreich bis zur Mitte des 9. Jh. nachweisbar sind (S. 6–23). Schwierig und stärkerer Reflexion bedürftig bleibt der Begriff Angelsachsen, den erstmals Paulus Diaconus um 775 als Anglisaxones in der Außensicht und zur Unterscheidung von den Festland-Sachsen bringt (Historia Langobardorum 4, 22, MGH SS rer. Lang. 1 S. 124). Damit ist dann territorial der Südosten Britanniens von Wessex bis Northumbria zu fassen. Ob aber alle im Katalog erfassten Personen wirklich von dort stammten, erscheint fraglich. Ausgeklammert werden die auf dem Kontinent weiterhin fassbaren Iren – wie beispielsweise Virgil von Salzburg. Dies bleibt letztlich doch schwierig. Bei allen Unterschieden, im Hinblick etwa auf Struktur und Romorientierung, gab es die faktischen Gemeinsamkeiten bei Klostergründungen, Kultur und Wirkung im Frankenreich. Willibrord selbst hatte seine Ausbildung zwölf Jahre lang in einem irischen Kloster erhalten und dürfte dort entscheidende Prägung erfahren haben. Man kann beide Phänomene nicht als zwei unterschiedliche Zeiterscheinungen definieren. Kulturgeschichtlich besser wäre vielleicht eine weitere Definition im Sinne einer insularen Prägung des Frankenreichs im 8. Jh., die die Vf. selbst stellenweise im Kontext der materiellen Kultur auch verfolgt (z.B. als eingangs formulierte Fragestellung: „Wie sind die im Frankenreich erhaltenen, anonymen Werke der Kunst und des Kunsthandwerks sowie der alltäglichen Gegenstände insularer Herkunft historisch zu interpretieren?“, S. 2). Die Mainzer Archäologin möchte in ihrer ursprünglich als Aufsatz konzipierten und dann monographisch ausgeweiteten Untersuchung auch die „heute noch fassbaren Spuren“ dieser Mission zusammenstellen und einordnen. Darunter versteht sie Kirchenbauten und Gräber (S. 26–48) sowie weitere materielle Hinterlassenschaft. Ausgangspunkte bieten ihr das Bonifatius-Grabmal und „besonders viele archäologische Funde angelsächsischer Herkunft“ (S. VII) in Mainz. In der 1,07 m hohen und 0,55 m breiten Stele, die 1857 im Garten des Kapuzinerklosters aufgefunden wurde, sieht sie das Erinnerungsmal, das Hrabanus Maurus um die Mitte des 9. Jh. aus Marmor vermutlich Auerbacher Herkunft in der Mainzer Marienkirche über dem Blutreliquiengrab des Bonifatius errichtet habe (S. 49–51, Abb. 20f.). Mehr als gewagt muss es aber dann im Weiteren erscheinen, wenn die Vf. auch in Emailscheibenfibeln mit stilisierter Büste und Kreuz eine Darstellung des Bonifatius zu erkennen glaubt (S. 52f. Abb. 22). Ein Folgekapitel behandelt die Gegenstände (Glocken, Textilien, Reliquiare und vor allem Hss.), die überlieferungsmäßig mit angelsächsischen Missionaren in Zusammenhang stehen (S. 55–62). Den ersten Teil des Buchs beschließen zwei Listen zu Aufenthaltsorten und Kirchengründungen von Angelsachsen (S. 63–67). Der zweite Teil beginnt mit dem gelungenen Überblick „Metall- und Beinarbeiten des 8. bis mittleren 9. Jahrhunderts, die angelsächsischer Herkunft oder nach insularen Vorbildern gestaltet worden sind“ (S. 69–107 sowie Verbreitungskarte Abb. 60 auf S. 110). Hier geht es zunächst um in Kirchenschätzen erhaltene Einzelstücke wie das Rupertuskreuz von Bischofshofen, das Bamberger Petrus-Messer, die Bucheinbände von Fulda und Genoels Elderen sowie die Reliquiare von Maaseik, Auzon, Baume-les-Messieurs, Mortain, Christenberg, Fritzlar, Gandersheim und Chur. Weitgehend in der Betrachtung ausgeklammert bleiben der Tassilo-Kelch und der ältere Lindauer Buchdeckel. Dann wird die kontinentale Verbreitung archäologischer Metallfunde, die insularer Herkunft sind oder von insularen Vorbildern beeinflusst wurden, betrachtet (Verbreitungskarte Abb. 61 auf S. 112). Darunter werden Bronzekämme und Schreibgriffel als Geräte sowie bestimmte Nadeln, Fibeln, Anhänger, Zierschlüssel, Gürtelbestandteile und Fingerringe als Kleidungselemente bzw. Schmuck verstanden. Das Schlusskapitel versucht eine Interpretation der Objekte und der archäologischen Befunde (S. 109–115). Abschließend konstatiert die Vf. sehr knapp, dass die Angelsachsen durch ihre Kirchen- und Klostergründungen die Siedlungsstrukturen des Frankenreichs verändert hätten. Das aufwendig gedruckte und gut illustrierte Buch führt frühere Arbeiten der Vf. weiter. Der archäologische Bereich ist kompetenter bedient als das Historische und Kirchengeschichtliche. Historische Quellen werden über Sekundärquellen zitiert. Es fehlt wichtige historische Literatur, so vermisst man die Arbeiten von Eugen Ewig. Zum Thema des Handels wäre die Einbeziehung der Fundmünzen hilfreich gewesen: Münzen vom Kontinent in Britannien und angelsächsische Münzen im Frankenreich sowie in Italien belegen existierenden Fernhandel. Trotz der Detailkritik kann der Wunsch nach Dialog der sich immer weiter spezialisierenden Disziplinen nur positiv betont werden. Als weitgehend erforscht Geltendes kann auf verbreiterter archäologischer Basis neu gesehen werden.
Bernd Päffgen
(Rezensiert von: Bernd Päffgen)