Kurt Weissen, Marktstrategien der Kurienbanken. Die Geschäfte der Alberti, Medici und Spinelli in Deutschland (1400–1475) Heidelberg 2021, Heidelberg Univ. Publishing, 647 S., Abb., ISBN 978-3-96822-021-5, EUR 49,90. – DOI: https://doi.org/10.17885/heiup.675. – Der große Einfluss, den italienische Kaufleute ab dem 12. Jh. in ganz Europa ausübten, spiegelt sich in der Benennung von Straßen und Plätzen in vielen europäischen Städten wider, wie W. in seiner Studie herausstellt. In dieser Arbeit, die aus seiner überarbeiteten Basler Habil.-Schrift von 2001 hervorgegangen und auch in einer Open-Access-Version verfügbar ist, untersucht W. das Ausmaß, die Dauer und den Modus Operandi der Geschäfte toskanischer, speziell florentinischer, Kurienbankiers. Der im Spät-MA von diesen abgewickelte Geldtransfer an die Kurie gilt seit langem als Katalysator für die Ausbreitung von Kapitalverkehr und Bankenwesen in ganz Europa und spielt für die deutsche Geschichte aufgrund seiner argumentativen Instrumentalisierung in der reformatorischen Kurienkritik eine wichtige Rolle. Es fehlt allerdings immer noch an Grundlagenforschung, um diese Phänomene auf der Basis von Archivbefunden in ihrer historischen Entwicklung differenziert erfassen und beurteilen zu können. Hierzu leistet W.s Studie einen maßgeblichen Beitrag. Hervorzuheben ist die beeindruckende Leistung bei der Aufarbeitung, Analyse und Präsentation der umfangreichen Bestände des Florentiner Staatsarchivs. Davon profitieren die Leser durch einen fast 200 Seiten umfassenden Anhang mit Berichten über Recherchen in italienischen Archiven, Quellentranskriptionen, Angaben aus florentinischen Rechnungsbüchern, Abbildungen und Sekundärliteratur. Im deutschsprachigen Raum gibt es so gut wie keine memoriale Verankerung italienischer Kaufleute über die Bezeichnung von Straßen oder Vierteln (Ausnahme: die „Wahlen-“, d. h. Welschenstraße in Regensburg, die einer wesentlich früheren Zeit entstammt), wofür bisher zwei Deutungen vorgebracht wurden: Entweder gab es keine Filialen italienischer Bankiers, die topographische Bezeichnungen wie in Paris oder London („Lombardenstraße“) hätten rechtfertigen können (Arnold Esch). Auf der anderen Seite ist eine zeitweise intensive Banktätigkeit von Italienern etwa in Köln, Nürnberg oder Lübeck in ihrem Umfang unerschlossen, sodass sie aus bisher unbekannten Gründen nicht zur Benennung einer Straße geführt hat (Wolfgang von Stromer). W. bietet nun eine detaillierte Analyse der Bankstrategien der Florentiner Kurienbanken im 15. Jh. und eine Geschichte der Kurienbanken, der Bankiers und des Bankgeschäfts im deutschsprachigen Raum, den er für seine Untersuchung von Lübeck bis Basel und von Köln bis Breslau zieht. Zentrales heuristisches Instrument ist das moderne Konzept der Marktraumstrategie, die durch die Faktoren „Aufwand und Ertrag, Bedrohungen und Chancen eines evaluierten Engagements in einem Wirtschaftsgebiet“ (S. 5) bestimmt wird. Als Markträume identifiziert W. Oberdeutschland, Köln und Mainz, Breslau, Lübeck, Konstanz und Basel. Zentrales Ergebnis ist, dass die Florentiner Banken weite Teile Deutschlands nicht abdeckten. Peter Moraws These von einer Konstellation führender Städte mit von ihnen erschlossenen Räumen, natürlich mit komplementären weitreichenden Wirtschaftsbeziehungen, findet Zustimmung. Das Fehlen von Personen oder Filialen der Kurienbanken in Städten wie Münster, Bremen oder Magdeburg ist jedoch kein Hinweis auf eine unterschiedliche Dichte der florentinischen Präsenz. Entscheidend war einerseits immer die Höhe der kirchlichen Gelder, die von einem Ort aus nach Rom überwiesen werden konnten (Aufwand und Ertrag). Andererseits spielten Gelegenheiten (kirchliche Großereignisse wie Schismen und Konzilien) oder Bedrohungen (unsichere politische Situationen) eine entscheidende Rolle. Letztere Faktoren können erklären, wie es zwischen 1450 und 1475 zu einer erheblichen Umstrukturierung des kurialen Zahlungsverkehrs im deutschsprachigen Raum kam. War die Zeit der „lombardischen Straßen“ nicht längst vorbei? Neben Papst Martin V. waren es nicht zuletzt die Konzilien des 15. Jh. gewesen, die die päpstliche Besteuerung erheblich milderten; zudem sind die Auswirkungen des Wiener Konkordats (1448) einzurechnen, durch das die päpstliche Stellenbesetzung im deutschen Reich auf die Hälfte reduziert wurde. Es wäre interessant, die quellenreichen Befunde dieser Studie auf den europäischen Kontext zu übertragen. Das „neue“ Geld war an den europäischen Höfen zu machen. Während in der westeuropäischen Forschung die Herausbildung einer politischen Einheit stärker betont wird, rückt W. mit den Kurienbanken die religiöse Einheit in den Vordergrund, die für die Bankiers teilweise deckungsgleich mit ihren finanziellen Bindungen war. Die Verflechtung religiöser, politischer und wirtschaftlicher Perspektiven für den deutschsprachigen Raum im 15. Jh. herausgearbeitet zu haben, ist ein zu unterstreichendes Verdienst dieses Werks. Es bietet – aus wirtschafts- bzw. finanzgeschichtlicher Sicht – eine notwendige Komplementierung der bekannten Studien von Götz-Rüdiger Tewes, der sich eingehend mit dem „Phantomschmerz“ befasste, den das vermeintlich im Übermaß aus Deutschland an die Kurie fließende Geld verursachte, und stellt einen wichtigen Meilenstein dar auf dem Weg zu einem differenzierten Bild der vorreformatorischen Beziehungen zwischen dem deutschen Reich und der Kurie.
Nils Bock
(Rezensiert von: Nils Bock)