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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,2 (2023) *.

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Creativity, Contradictions and Commemoration in the Reign of Richard II. Essays in Honour of Nigel Saul, ed. by Jessica A. Lutkin / J. S. Hamilton, Woodbridge 2022, The Boydell Press, XI u. 307 S., Abb., ISBN 978-1-78327-617-2. – Der Band versammelt Beiträge zu Ehren eines durch zahlreiche Publikationen ausgewiesenen Kenners der Geschichte des spätma. England und insbesondere der Regierungszeit Richards II. Den Schwerpunkten seiner Forschung folgend wurden die 14 Aufsätze den drei Teilen „Quellen“, „Regierung und Verwaltung“ sowie „Erinnerungskultur“ zugeordnet. Aus dieser Fülle werden hier stellvertretend drei Beiträge herausgegriffen, die neue Perspektiven auf die englische Geschichte des ausgehenden 14. Jh. eröffnen. Caroline Barron (S. 11–34) revidiert in umsichtiger Weise die oft in Frage gestellte Bedeutung der Chronik des Jean Froissart für die Rekonstruktion der Ereignisse der „Peasants’ Revolt“ von 1381, in deren Umfeld Richard II. erstmals als Herrscherpersönlichkeit greifbar wird. Denn obwohl der französische Chronist die Ereignisse wahrscheinlich von Cambrai aus schilderte, konnte er auf Augenzeugenberichte von Teilnehmern in London zurückgreifen, die vor allem die Ereignisse vom 12.–14. Juni 1381 im Tower, aber auch in Mile End und auf dem Smithfield durch ansonsten unerwähnte Details bereichern. Zudem steht Froissart bei genauer Betrachtung den Aufständischen deutlich weniger feindlich gegenüber als die monastischen Historiographen aus England, was die Forschung bisher weitgehend ignorierte. Das Agieren der 21 englischen und walisischen Bischöfe bei der Absetzung Richards II. 1399 betrachtet Joel T. Rosenthal (S. 179–202) aus gruppenbiographischer Perspektive. Obwohl die Mehrheit ihr Amt Richard II. zu verdanken hatte, regte sich jenseits von Thomas Merke kaum bischöflicher Widerstand gegen die vom späteren Heinrich IV. angeführte Rebellion. Neben Gemeinsamkeiten in Alter, Ausbildung und Tätigkeiten in der königlichen Verwaltung wird vor allem auf die geteilte Erfahrung der vom König 1388 vorgenommenen Bischofsabsetzungen hingewiesen. Der Episkopat habe vor diesem Hintergrund die Ereignisse von 1399 vor allem als eine weltliche Angelegenheit betrachtet und die politischen Veränderungen weitgehend klaglos hingenommen. Engere Parteigänger Richards konzentrierten sich nach der Herrschaftsübernahme Heinrichs IV. stärker auf diözesane Aufgaben – selbst Merke wirkte als Suffragan in Winchester –, während seine früheren Gegner, allen voran Thomas Arundel als Erzbischof von Canterbury, an zentrale Schaltstellen in der Verwaltung des neuen Herrschers aufstiegen. In einer anregenden Gegenüberstellung skizziert Chris Given-Wilson (S. 221–233) die seit den 1380er-Jahren gepflegte Erinnerungskultur an zwei Protagonisten der ersten Phase des Hundertjährigen Kriegs, nämlich an den „Schwarzen Prinzen“ Edward von Woodstock auf englischer und an Bertrand du Guesclin auf französischer Seite. Die Analyse ihres persönlichen Verhältnisses, der einsetzenden literarischen Verklärung ihrer Taten und ihrer Begräbnisfeierlichkeiten zeigt unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in der Erinnerung klar auf. Auf englischer Seite überdecken persönliches Verdienst, Tapferkeit und die Mitgliedschaft in einer ritterlichen Wertegemeinschaft negative Seiten Edwards und prägen ein bis heute wirksames Bild individueller Vorbildhaftigkeit. Bertrand hingegen wurde auf französischer Seite als Anführer einer über individuelle Leistungen hinausgehenden nationalen Kraftanstrengung gegen die Fremdherrschaft stilisiert. So wurden vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kriegserfahrungen bereits im Spät-MA bei vielen persönlichen Gemeinsamkeiten der beiden Protagonisten verschiedene Perspektiven auf Ritterlichkeit angelegt. Insgesamt nehmen auch die übrigen Beiträge des Bandes viele Anregungen auf, die Nigel Saul in seinen Studien formuliert hat, und bereichern so die Forschung zur englischen Geschichte des 14. Jh. um neue Erkenntnisse, die sich allerdings auf die politischen Geschehnisse und die Memorialkultur konzentrieren.

Maximilian Schuh

(Rezensiert von: Maximilian Schuh)