Erika Graham-Goering, Princely Power in Late Medieval France. Jeanne de Penthièvre and the War for Brittany (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, Fourth Series 117) Cambridge 2020, Cambridge Univ. Press, XIV u. 288 S., Abb., ISBN 978-1-108-48909-6, GBP 74,99. – Die Arbeit geht von der Beobachtung aus, dass die Erforschung weiblicher Herrschaft im Spät-MA vor allem Königinnen, weniger fürstliche (und andere hochadlige) Akteurinnen in den Blick nimmt (S. 10–13). Die Vf. konturiert demgegenüber einen Forschungsansatz zur Untersuchung nicht-königlicher Herrschafts- und Machtausübung, der dem Geschlecht hohe Bedeutung beimisst, aber nur als einem von mehreren Einflussfaktoren. Es geht um „a view of power that incorporates gender dynamics but is not determined through them“ (S. 20). Die Kategorie ‘Geschlecht’ ist eines von mehreren Werkzeugen, mit denen die Handlungsspielräume von Individuen analysiert werden können; sie muss immer in Verbindung mit „other tools such as rank, status, age, and relationships“ gesetzt werden (ebd.). Die Vf. analysiert das Zusammenspiel dieser verschiedenen Faktoren am Beispiel der Johanna ‘von Penthièvre’ (reg. 1341–1365, † 1384), die als Nichte und Erbin Herzog Johanns III. 40 Jahre lang mit ihrem (Halb-)Onkel Jean de Montfort und dessen Nachfahren um die Bretagne konkurrierte. Dass sie dabei bis in die 1360er Jahre die Oberhand behielt, lag nicht zuletzt an der Unterstützung des französischen Königs, dessen Neffe – Karl von Blois – seit 1337 mit Johanna verheiratet war und 1341 mit dem Herzogtum belehnt wurde. Der eng mit dem beginnenden ‘Hundertjährigen Krieg’ verquickte bretonische Erbfolgekrieg stellte das Paar dennoch vor große Herausforderungen: Zwischen 1347 und 1356 regierte Johanna weitgehend allein, da Karl in England gefangen war; nach seinem Tod in der Schlacht von Auray musste sie sich 1365 zu einem Frieden bereitfinden, der ihr Titel und Erbgüter in der Bretagne beließ, das Herzogtum aber an die Linie Montfort übergab. Gleichwohl blieb Johanna bis zu ihrem Tod eine wichtige Akteurin in Frankreich und der Bretagne. In Kapitel 1 gibt G.-G. zunächst einen strukturierten Überblick über die oben skizzierte Biographie. Im Kapitel 2 diskutiert sie die „concepts of power“ in Johannas Urkunden; besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Dichotomie von „power“ und „authority“, die von der Forschung oft zur Analyse des Verhältnisses von Erbinnen und ihren ‘geschäftsführenden’ Gatten verwendet worden ist und auch spätma. Normvorstellungen entspricht. Die Vf. kann nachweisen, dass diese Konzeption auch in Johannas Urkunden zum Ausdruck kommt – aber nur dort, wo dies im Interesse der Urkundenausstellerin lag, die ihre Rolle auch anders stilisieren konnte (S. 98f.). Die Kapitel 3–5 erbringen ein ähnliches Ergebnis: G.-G. nimmt hier die Aufgabenverteilung innerhalb des herzoglichen Paars beim „Management“ von Eigentums- und Herrschaftsrechten, Parteigängern und Amtsträgern sowie der Konfliktaustragung in den Blick. Auch hier besaßen heute als ‘traditionell’ wahrgenommene geschlechtsbezogene Rollenmuster zweifellos Bedeutung, doch determinierten sie Johannas Handlungsspielräume ebensowenig wie andere, nicht-geschlechtsbezogene „limitierende Faktoren“: „their significance, and the end results, were highly dependent on context and perspective“ (S. 189). Die beiden letzten Kapitel schließlich untersuchen die problematische Legitimation fürstlicher Herrschaft auf anderer Ebene. Kapitel 6 analysiert die Argumentation beider Parteien in dem 1341 vor dem Parlement de Paris geführten Prozess um die Bretagne; Kapitel 7 thematisiert verschiedenartige Praktiken, mit denen Johanna ihre Legitimitätsansprüche kommunizierte. Wie in anderen Kapiteln beeindruckt die Arbeit auch hier durch die detaillierte Analyse einzelner Zeugnisse, darunter Johannas zweites Herzogssiegel (S. 242–245). Dass solche Deutungen dem Vorwurf der Überinterpretation kaum entgehen können, sei nur am Rande erwähnt: Inwieweit das Programm des neuen Siegelbildes, von dem nur wenige Abdrücke erhalten sind, tatsächlich einen nennenswerten propagandistischen Einfluss auf die doch recht pragmatisch agierende bretonische und französische Adelsgesellschaft ausüben konnte, bleibt daher der Einschätzung des Lesers überlassen. Auch wenn einzelne Deutungen der Vf. zu diskutieren bleiben (so etwa die Interpretation einer non obstante-Klausel, S. 166), steht doch außer Frage, dass G.-G.s Buch das Ergebnis einer ausgesprochen wichtigen Forschungsleistung ist. Der Rez. hat in den letzten Jahren selten eine Arbeit gelesen, deren nuanciertem Verständnis der französischen bzw. bretonischen ‘politischen Gesellschaft’ er so uneingeschränkt folgen konnte. Wenn überhaupt Kritik geübt werden soll, könnte man anmerken, dass das Buch keine leichte Lektüre ist. Dies liegt zum einen am erwähnten Detailreichtum, zum anderen an der für den Leser nicht ganz leicht zu erschließenden Zielsetzung der Arbeit. Handelt es sich um eine ‘politische Biographie’, die in erster Linie den Spezifika von Johannas problematischer Herrschaft gewidmet ist? Oder geht es darum, das Fallbeispiel für den Vergleich mit anderen einschlägigen Konstellationen zu erschließen, wie die Vf. in der Konklusion nahelegt (S. 259f.)? Die im Buch vielleicht etwas eklektisch berücksichtigte französische Forschung wird von der Auseinandersetzung mit G.-G.s Thesen auf alle Fälle profitieren.
Georg Jostkleigrewe
(Rezensiert von: Georg Jostkleigrewe)