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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,2 (2023) *.

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Die Freiburger Stadtrechte des hohen Mittelalters (1120–1293). Edition, Übersetzung, Einordnung, hg. von Marita Blattmann / Jürgen Dendorfer / Mathias Kälble / Heinz Krieg unter Mitarbeit von Benjamin Torn / Meret Wüthrich (Veröffentlichungen aus dem Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau 43) Freiburg im Breisgau 2020, Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau, 410 S., Abb., ISBN 978-3-923272-44-0, EUR 30. – Die Anfänge einer großen Zahl deutscher Stadtrechte liegen im Dunkeln. So wünschten sich im Laufe des MA etliche Kommunen eine Beleihung mit Kölner oder mit Magdeburger Recht, doch sind uns keine Aufzeichnungen der erbetenen Mutter-Rechte bekannt. Das urkundlich überlieferte Augsburger Stadtrecht von 1156 (siehe folgende Rezension) will an gute alte Rechtszustände anknüpfen, die nach den in der kaiserlichen Stadtrechtsurkunde Friedrichs I. selbst beschriebenen Begebenheiten auf das Jahr 1104 zurückführbar erscheinen; eine Augsburger Stadtrechtsurkunde von 1104 ist indessen nirgends zu finden. Hingegen kann das zähringische Gründungsprivileg für den Markt Freiburg aus dem Jahr 1120 (urkundlich ausgefertigt möglicherweise erst 1122) nach verbreiteter Meinung für sich beanspruchen, zwar nicht im Original, aber immerhin in Rekonstruktion aus anderen Quellen fasslich zu sein. Dasselbe gilt für weitere Schritte in der Entwicklung des Freiburger Stadtrechts, bis aus dem Jahr 1218 mit dem (oder der) Freiburger Stadtrodel die älteste Original-Urkunde begegnet (ursprünglich gerollt – daher im ma. Latein als rotulus oder rotula bezeichnet und deutsch zu „Rodel“ verschliffen). Als Aussteller der mutmaßlichen Urkunde von 1120 (1122) gilt Konrad von Zähringen, der zu jener Zeit noch nicht selbst die Herzogswürde und damit die Stadtherrschaft trug, sondern nur mit Ermächtigung seines nach der vermuteten Urkundenausstellung, noch im Jahr 1122, verstorbenen Bruders, Herzog Bertholds von Zähringen, handeln konnte. Freilich bezweifelte Bernhard Diestelkamp in seinem Festvortrag zum 850jährigen Jubiläum 1970 mit gewichtigen Argumenten die Existenz einer Konradinischen Freiburger Gründungsurkunde (vgl. DA 32, 294). Die Meinungen sind seither geteilt geblieben. Die Frage der Existenz oder Nichtexistenz einer Urkunde des Jahres 1120 (1122) ist freilich das eine und die Existenz eines Stadtrechts das andere. Ma. Stadtrechtszuweisung ist Konsensgeschäft, nur der äußeren Form nach einseitige hoheitliche Gewährung. Die in tatsächlich überlieferten Urkunden regelmäßig anzutreffenden Verweise auf Bitten Betroffener um Anordnungen und Rückbezüge auf gute alte Rechtszustände erscheinen fast immer als nicht uneingeschränkt glaubhaft. Vielmehr muss man die Schilderungen zu den Entstehungsumständen einer Urkunde (narratio mit petitio) als Ausdruck einer befriedenden Verständigung lesen, welche widerstreitende Interessen in einem Annäherungsverfahren zum Ausgleich brachte. Allseits bewilligte Bezeichnung von Rechtssätzen für Städte oder Lande als mindestens wunschgemäß, womöglich sogar schon vor Generationen anerkannt und allenfalls zwischenzeitlich in Verwirrung geraten, sichert Akzeptanz. Dies ist zum Vorteil aller Seiten, insbesondere auch des Stadtherrn oder des Landesherrn selbst in seiner steten Sorge um legitimierbaren Bestand seiner Herrschaft. Deshalb ist es für die Aussagekraft zeitlich zurückweisender urkundlicher Quellen nicht essentiell bedeutsam, eine ursprüngliche Quelle auffinden und zuordnen zu können. Es genügt, wenn die sekundären Belege ihrerseits als Dokument zeitgenössischen Einverständnisses (spätestens der in der Zeit des sekundären Belegs Lebenden) mit dem in ihnen Wiedergegebenen vertrauenswürdig erscheinen. In diesem Sinne eines sich immer wieder aufs Neue aktualisierenden rechtlichen Selbstverständnisses wird man das rekonstruierte Freiburger Stadtrecht von 1120 und die weiteren Rekonstruktionen zum 12. Jh. als authentisch annehmen dürfen. Die neue Edition liefert Transkriptionen mit modernen Übersetzungen sämtlicher Quellentexte. Die Ausgabe erfüllt einen über mehr als hundert Jahre gehegten Wunsch, zu den ersten beiden Jahrhunderten des Freiburger Stadtrechts einen bequemen Zugang zu schaffen. Die Genese der Edition beschreibt Dendorfer eindrücklich (S. 7–12; Hinweis auf die Meinungsverschiedenheit zur Existenz des Marktprivilegs von 1120 S. 7f.). Prägnante Einführungen verdeutlichen die kommunale Verfassung Freiburgs in der zähringischen Herrschaft des 12. und 13. Jh. (Dendorfer / Krieg, S. 15–36) und das Quellengut mit seinen inhaltlichen Schwerpunkten (Blattmann / Kälble, S. 37–67). Die Arbeitsgrundlagen der Edition sind transparent beschrieben (Torn, S. 68–85). Die bei der Wiedergabe der Quellen gewählten Vereinheitlichungen achten einerseits die gefundenen Eigenheiten der Hss., verfolgen aber zugleich das Ziel flüssiger Lesart. Auch die moderne Übersetzung ist dem Ziel leichten Zugangs verpflichtet (S. 83). Ältere Ausgaben sind berücksichtigt und nachgewiesen (S. 79–85; ausführliche Bibliographie S. 335–365). Eine wichtige Vorarbeit zu der Edition war die Freiburger Diss. (1988) der Hg. Blattmann (vgl. DA 48, 696). Die reichhaltige Quellenausgabe umfasst 21 Positionen. Den Anfang macht die umstrittene Gründungsurkunde von 1120 mit drei weiteren Rekonstruktionen bis zum Jahr 1200. Ab dem Rodel von 1218 tritt originales Material auf, darunter auch aussagekräftige Entwürfe, welche vom Entwicklungsfortschritt zeugen. Das letzte Stück ist Zugabe, bestehend aus Einträgen ins Güterbuch des Zisterzienserklosters Tennenbach der Jahre 1317–1341. Jeder Quellenwiedergabe geht eine Quellenbeschreibung mit Zusammenfassung des bisherigen Editionsstands voran. Dazu erscheinen für die Rekonstruktionen zum 12. Jh. Darstellungen des Streitstandes, die bei aller Entschiedenheit der eigenen Position zur Authentizitätsfrage ausgewogen gelingen. Ein Glossar zu zentralen rechtlichen Institutionen (S. 329–334) und ausführliche Register zu Orten und Personen (S. 367–374) sowie zu Sachen (375–405) beschließen die Ausgabe. Sie ist für die Wissenschaft und zur Stärkung bürgerschaftlichen Selbstbewusstseins gleichermaßen wertvoll.

Christoph Becker

(Rezensiert von: Christoph Becker)