‘Kleine Bischöfe’ im Alten Reich. Strukturelle Zwänge, Handlungsspielräume und soziale Praktiken im Wandel (1200–1600), hg. von Oliver Auge / Andreas Bihrer / Nina Gallion (ZHF Beiheft 58) Berlin 2021, Duncker & Humblot, 462 S., Abb., ISBN 978-3-428-18326-5, EUR 79,90. – Der Sammelband vereint die Beiträge der gleichnamigen Greifswalder Tagung von 2018. Einleitend spannt Andreas Bihrer (S. 9–18) zwölf für die Thematik relevante Forschungsfelder auf. Die Tatsache, dass dazu auch Annäherungen an die Begriffsdefinition zählen, verdeutlicht die methodische Herausforderung des Bandes. Abstufungen innerhalb der kirchenrechtlich im Prinzip gleichberechtigten Bischöfe ergeben sich erst aus deren Ressourcen und Handlungsoptionen, so dass Begriffsabgrenzung und inhaltliche Analyse in einem wechselseitigen Bezug stehen. Dies kann jedoch zu fruchtbaren Diskussionen führen, wie die Beiträge zeigen, bei denen es sich meist um quellennahe regionale Fallstudien handelt, die das Reich geographisch breit abdecken. Ergänzt werden sie durch Ausführungen von Karl-Heinz Spiess (S. 373–405) zu Fürstensöhnen als Bischöfen. Die politischen Handlungsspielräume ‘kleiner Bischöfe’ gegenüber mächtigen Nachbarn nehmen Oliver Auge (S. 19–46) für Schleswig und Stefan Petersen (S. 47–75) für Ratzeburg in den Blick, wobei ersterer das situativ durchaus geschickte Agieren der Bischöfe zwischen konkurrierenden Mächten betont, während letzterer die Handlungsoptionen der Bischöfe unter anderem durch die isolierte Stellung des prämonstratensischen Domkapitels begrenzt sieht. Andreas Röpcke (S. 77–95) macht den minderen Status der Schweriner Bischöfe an ihrer sozialen Herkunft fest, da der Anteil der ins Bischofsamt aufgestiegenen Bürger im reichsweiten Vergleich hoch war. Er kann jedoch zeigen, dass die bürgerliche Herkunft nicht automatisch zu weniger Handlungsspielräumen führte. Das Bistum Minden zählt für Frederieke Maria Schnack (S. 141–166) auf Grund seiner geringen wirtschaftlichen Potenz zu den kleinen Bistümern. Ihr Augenmerk liegt auf der Bedeutung der familiären Netzwerke Bischof Ludwigs von Braunschweig-Lüneburg, die ihm gewisse Freiheiten ermöglichten, ohne die prekäre finanzielle Lage des Bistums dauerhaft zu verändern (siehe auch unten S. 878f.). Für Nathalie Kruppa (S. 167–203) ist die geringe Relevanz auf Reichsebene der entscheidende Faktor, um Hildesheim zu den kleinen Bistümern zu rechnen. Der regionale Fokus begünstigte aber dafür eine starke Stellung des Domkapitels bei der Bischofswahl. Christian Hesse (S. 205–234) nutzt als einziger mit der Höhe der Reichsabgaben bzw. Servitien eine konkrete Vergleichsgröße für die Einordnung der Bistümer, wobei die Bischöfe des von ihm untersuchten, ‘kleinen’ Basel regional gegenüber ihren Nachbarn und ihrem Domkapitel dennoch eine vergleichsweise starke Stellung bewahrten. Ähnlich argumentiert auch Helmut Flachenecker (S. 235–269) dafür, die regionale Fokussierung nicht als Defizit, sondern vielmehr als Konsequenz spätma. Herrschaftsstrukturen geistlicher Fürstentümer zu interpretieren, was er am Beispiel Eichstätt verdeutlicht. Johannes Lang (S. 271–290) lenkt die Aufmerksamkeit auf die Eigenbistümer des Salzburger Metropoliten. Die Bischöfe von Gurk, Chiemsee, Seckau und Lavant besaßen zwar einen nachgeordneten Status, konnten aber als enge Vertraute des Erzbischofs einflussreiche Funktionen übernehmen und wurden oft mit Benefizien kompensiert. Mit der räumlichen Ausdehnung von Bistümern beschäftigen sich Gerrit Deutschländer (S. 291–346) in Bezug auf Merseburg und Enno Bünz (S. 347–372) für Meißen. Während der Fall Merseburg zeigt, dass ein kleines und kompaktes Gebiet im Hinblick auf die Bewahrung der Selbstständigkeit nicht unbedingt von Nachteil sein muss, hatte die ausgedehnte Diözese Meißen mit der geringen Größe des zugehörigen Hochstifts zu kämpfen. Wie Nina Gallion (S. 407–423) in ihrer Zusammenfassung betont, lassen sich einige der beschriebenen Zusammenhänge auch auf andere Bistümer übertragen, so dass erst der Vergleich mit ‘größeren’ Bischöfen die Spezifika ‘kleinerer’ Amtsträger schärfen kann. Doch auch wenn eine methodische Präzisierung des Begriffs weiteren Diskussionen vorbehalten ist, bietet der Band eine Fülle an wertvollen Beobachtungen zu bischöflichen Handlungsspielräumen, die zu weiteren Forschungen anregen. Gerade die weniger bedeutenden Bistümer in den Blick der Forschung gerückt zu haben, ist ein großes Verdienst der Tagung.
Claudia Esch
(Rezensiert von: Claudia Esch)