DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,2 (2023) *.

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Sigrid Hirbodian / Andreas Schmauder / Petra Steymans-Kurz (Hg.), Materielle Kultur und Sozialprestige im Spätmittelalter. Führungsgruppen in Städten des deutschsprachigen Südwestens (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 82) Ostfildern 2020, Jan Thorbecke Verlag, IX u. 160 S., Abb., ISBN 978-3-7995-5282-0, EUR 25. – Der auf eine Tagung vom April 2016 zurückgehende Band nähert sich der Lebenswelt städtischer Führungsgruppen über die „Fülle“ ihrer „materiellen Hinterlassenschaften“ an. Neun Beiträge gehen Objekten nach, mit denen städtische Eliten ihr Selbstverständnis ausdrückten, und fragen, welche Ziele sie damit verfolgten. Es handelt sich nicht um eine Auseinandersetzung mit dem „material turn“, kommt doch der Materialität der untersuchten Objekte keine eigene Erkenntniskraft zu. Materielle Kultur wird vielmehr „als eine Art nonverbale Kommunikation“ aufgefasst, „die das Selbstverständnis und die soziale Positionierung, auch die Selbstverortung der städtischen Führungsschichten zum Ausdruck bringen soll“ (S. VIII). Gabriel Zeilinger (S. 1–11) untersucht die Siegelführung städtischer Führungsgruppen im Elsass des 13. und 14. Jh. und die Rolle der Siegel als Medium beim Werden der städtischen Gemeinde. Jörg Rogge (S. 12–24) zeigt, dass übergreifende ikonographische Programme in Rathäusern „in einer Zeit verstärkt“ auftraten, „in der die Idee der genossenschaftlich legitimierten Herrschaft der Räte durch die herrschaftlich legitimierte abgelöst wird“ (S. 21). Eva Leistenschneider (S. 25–36) geht von der Beobachtung aus, dass sich im Ulmer Münster „das Repräsentationsbestreben der städtischen Eliten in besonderem Maße“ entfalten konnte (S. 26). Einschneidend war 1526 das Verbot von Begräbnissen innerhalb der Stadtmauern. Es machte die Totenschilde in den Familienkapellen zum „‘verlängerten Arm’ des Patriziats in die Pfarrkirche“ (S. 35). Heidrun Ochs (S. 37–57) zeigt die sich überlagernden Rollen von Wappen für Memoria und Genealogie von Mainzer Patriziern und die Entstehung von Wappenfolgen als Reaktion auf Umbruchszeiten. Bei der Diskussion der Totenschilde von Nürnberger Patrizierfamilien integriert Katja Putzer (S. 58–70) auch Hinweise auf die verwendeten Materialien. Um 1500 schränkten Aufwandsgesetze den über Größe und Farbigkeit der Schilde ausgetragenen Konkurrenzkampf ein. Die Veränderungen der Aufstiegsstrategien von Ravensburger Kaufmannsfamilien stellt Andreas Schmauder (S. 71–84) dar. Der Übergang in den Adelsstand war mit der Aufgabe des städtischen Bürgerrechts und der Handelstätigkeit erreicht. Ein Gegenstück dazu ist die Familie Vintler auf Runkelstein. Wie Armin Torggler (S. 85–94) zeigt, konnte sie ihren manifest gemachten Statusanspruch letztlich nicht in sozialen Aufstieg ummünzen, weil die Herrschaftskonstellation in Bozen die „kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten“ (S. 94) einschränkte und kein Patriziat vorhanden war, aus dem sie konkurrierend herauswachsen konnte. Ganz anders die Fugger. Dietmar Schiersner (S. 95–106) erläutert, dass ihr Schlossbau als „Signal selbstbewusster, historisch verankerter Landesherrschaft“ und Zitate sakraler Architektur als Ausdruck der Selbstverpflichtung, der katholischen Kirche „Raum und Schutz zu gewähren“, zu verstehen sind (S. 106). Peter Niederhäuser (S. 107–118) schließlich stellt städtische Gerichtsherren in der Deutschschweiz in ihrem Lavieren zwischen Stadt und ländlichem Gerichtssitz vor. Einzelne Familien lösten sich endgültig von der Stadt und pflegten ihre Schlösschen und Grablegen als Kleinodien und Ausdruck standesgemäßen Lebens als Landjunker. Forschungspotenzial entwickelt der Band in der Zusammenschau aller Beiträge. Reformation und Aufwandsgesetzgebung griffen gerade in die materiellen Manifestationen patrizischen Anspruchs ein. Die Darstellung von Reichtum, Verwandtschaft und alter Abstammung löste sich von den traditionellen Orten patrizischer Repräsentation. Das Umland wurde in der Folge aufgewertet, und das Verhältnis von Landadel und Patriziat stellte sich neu dar. Ins 16. und 17. Jh. fortgesetzt, hat die Untersuchung des Zusammenspiels von materieller Kultur, Repräsentation und Herrschaftsanspruch noch einiges zu bieten.

Regula Schmid Keeling

(Rezensiert von: Regula Schmid Keeling)