James Titterton, Deception in Medieval Warfare. Trickery and Cunning in the Central Middle Ages (Warfare in History) Woodbridge 2022, Boydell & Brewer, XX u. 268 S., Abb., ISBN 978-1-78327-678-3, GBP 85. – Die angelsächsische Forschung zu ma. Kriegen rekonstruiert gerne den Ablauf von Kampfhandlungen, während die deutsche Forschung sich weniger martialischen Aspekten widmet, zum Beispiel Erzählstrategien von Chronisten. Die Arbeit aus dem produktiven Kreis um Alan V. Murray in Leeds geht einen anregenden Mittelweg. Der Vf. behandelt verschiedene Arten von Täuschung, die in der ma. Kriegführung angewendet wurden. Seine Untersuchungen konzentrieren sich auf die Zeit von 1000 bis 1320 und auf jenen Teil Europas, in dem die französische Sprache tonangebend war, also England, Frankreich und die Niederlande. Zwangsläufig stützt sich die Untersuchung weitgehend auf Chroniken, denn fast nur dort werden Kämpfe ausführlicher beschrieben. Vorsicht ist jedoch bei manchen Schilderungen angebracht. Ganz zu Recht argumentiert der Vf. jedoch, dass ein Bericht, der wenig Vertrauen weckt, durchaus etwas über die Kultur aussagt, in der solche Berichte kursierten. Das erste Kapitel betrifft Täuschungen in der ma. Kultur allgemein. Man schätzte solche Erzählungen sehr, und Robin Hood war nur eine von vielen literarischen Gestalten, denen man solche raffinierten Taten zuschrieb. Die Kapitel 2–7 beschäftigen sich mit unterschiedlichen Täuschungspraktiken: Irreführung, Falschinformation und Spionage, Hinterhalte und Überfälle, Verkleidungen und Bestechung, Eide und Waffenstillstände. Stets verortet der Vf. diese Praktiken plausibel in der Kriegführung, aber auch in der Schilderung der Chronisten. Zum Beispiel spricht er von der Taktik der vorgetäuschten Flucht. Anderen Forschern zufolge sollen schon die Hunnen, Westgoten und Alanen diese Täuschung benutzt haben, und von den Letztgenannten lernten angeblich die Normannen sie kennen. T. stellt hingegen nüchtern fest, dass eine solche Taktik sehr nahe lag. Er analysiert dann, wie verschiedene Autoren den Bericht von einer vorgeblichen Flucht in ihrer Erzählung einsetzten (S. 75–78). Außerdem wirft er die Frage auf, ob nicht manchmal eine echte Flucht von Chronisten als eine vorgebliche Flucht geschildert und damit zum raffinierten Manöver umgedeutet wurde. Auch bei einer anderen, recht bekannten Episode gelangt der Vf. zu interessanten Einsichten über die Verbreitung von Erzählungen. Hasting, ein Normanne, wollte die Stadt Luni in Italien erobern, die er fälschlich für Rom hielt. Seine Leute trugen ihn auf einer Bahre zur Stadt. Dort erzählten sie, ihr Anführer sei gestorben, und er habe ein christliches Begräbnis erbeten. Während der Totenmesse sprang Hasting auf und griff den Bischof an. Die Stadt wurde erobert und geplündert. Die Geschichte ist höchst unplausibel. Doch ähnliche Vorgänge wurden auch von anderen Helden erzählt. Der Reiz lag offenbar gerade darin, dass die christlichen Riten so rigoros gestört wurden. Im vorletzten Kapitel untersucht der Vf. dann die „Sprache der Täuschung“, wie sie sich bei drei Chronisten (Ordericus Vitalis, Walter der Kanzler, Wilhelm von Apulien) zeigt. Diese Autoren verfügten über viele Worte, die Täuschungen bezeichneten. Einige waren abwertend, viele aber mehrdeutig. Den Gegner raffiniert täuschen zu können, zeichnete einen Anführer aus. Abschließend werden die moralischen Implikationen der Täuschungen behandelt. Selten werden diese Vorgänge ausdrücklich gerechtfertigt. Mitunter aber werden sie als feige und hinterhältig gekennzeichnet. Dies betraf vor allem Völker, die außerhalb des engeren Untersuchungsraums lebten und gemeinhin als nicht vertrauenswürdig galten: Waliser, Schotten, Iren, Griechen, Muslime. Der pragmatische Zugriff des Vf. überzeugt auch in diesen Kapiteln.
Malte Prietzel
(Rezensiert von: Malte Prietzel)