DA-Rezensionen online

Eric Burkart, Kreuzzug als Selbstbeschreibung. Burgundische Statuspolitik in den spätmittelalterlichen Traktaten des Jean Germain (Pariser Historische Studien 117) Heidelberg 2020, Heidelberg Univ. Publishing, 438 S., 13 Abb., ISBN 978-3-96822-002-4, EUR 49,95. – DOI: https://doi.org/10.17885/heiup.628. – In seiner Frankfurter Diss. widmet sich B. drei Traktaten des Jean Germain († 1461), Bischof von Chalon-sur-Saône und Kanzler des Ordens vom Goldenen Vlies. Die drei Texte entstanden in den späten 1440er Jahren und wurden im Mai 1451 im Rahmen eines Kapitels des Ordens im hennegauischen Mons dem burgundischen Herzog Philipp dem Guten († 1467) öffentlich überreicht. Alle drei Texte spiegeln Interesse an der Kreuzzugsidee zur Verteidigung der Christenheit angesichts der Expansion der Osmanen wider, die 1453 zur Eroberung Konstantinopels führte. Es handelt sich zum einen um den Trésor des simples, der eine Widerlegung der muslimischen Glaubenslehre formuliert und in der Aufforderung gipfelt, einen Kreuzzug zur Rückeroberung der von den Muslimen beherrschten Gebiete im Mittelmeerraum zu führen (ausführlich diskutiert in Kapitel 7, S. 177–278). Der zweite Text, die Mappemonde spirituelle, stellt die bedeutendsten Persönlichkeiten der biblischen Heilsgeschichte vor und reiht sie nach ihrer geographischen Verteilung. Sehr wahrscheinlich gehörte zu diesem Text auch eine Weltkarte, die den weltumspannenden Herrschaftsanspruch der christlichen Fürsten repräsentierte (Kapitel 8, S. 279–314). Schließlich wurde in Mons ein Liber de virtutibus überreicht, der dem Sohn des Herzogs, Karl dem Kühnen († 1477), gewidmet war und nicht nur die Tugenden Philipps rühmt, sondern auch so etwas wie eine frühe burgundische Hofgeschichtsschreibung von den Anfängen der Herzogsherrschaft Philipps bis in die Zeit um 1450 bietet (Kapitel 9, S. 315–356). B. interpretiert diese drei Traktate des Jean Germain als Schlüsseltexte für das Selbstverständnis der burgundischen Eliten und des herzoglichen Hofs. Methodisch möchte er dabei neue Wege erproben (Kapitel 2, S. 27–52), es geht ihm nämlich nicht um eine klassische, politikgeschichtliche Deutung dieser Texte. Vielmehr analysiert er sie zunächst jeweils für sich und würdigt sie als unterschiedliche, komplex strukturierte und zum Teil mit Illuminationen reich ausgestattete Werke, die auf tradierte Wissensordnungen rekurrieren, wie sie Gemeingut der gebildeten Eliten waren. Maßgeblich sind für B. die Impulse der Kulturgeschichte des Politischen und der rekonstruktiven Sozialforschung. Damit soll eine vorschnelle politikgeschichtliche Einordnung der Texte ausgeschaltet werden. Erfolgversprechend ist dieser Weg vor allem deshalb, da die ältere Forschung die Kreuzzugsbereitschaft des burgundischen Herzogs um die Mitte des 15. Jh. nicht mit der Auffassung zusammenbringen konnte, dass Burgund in dieser Zeit auf dem Weg zum modernen Staat war, ein Weg, der nicht zur vermeintlich rückwärtsgewandten, ma. Kreuzzugsidee zu passen schien. B. bricht diese bereits seit einiger Zeit überholte Dichotomie auf, indem er überzeugend herausarbeitet, dass die Kreuzzugspolitik des burgundischen Hofs integraler Bestandteil des Herrschaftsanspruchs Philipps und der ihn tragenden Eliten war. Das Engagement für den Kreuzzug war demnach eine wichtige Legitimationsquelle für den Anspruch Philipps, zu den ranghöchsten Fürsten Europas zu gehören; aus der Kreuzzugsbereitschaft Burgunds ergab sich eine Steigerung des symbolischen Kapitals, über das der Herzog und sein Hof verfügen konnten (Kapitel 10, S. 357–372). Die sorgfältig argumentierende Untersuchung bietet im Anhang Transkriptionen ausgewählter Passagen aus den Texten des Jean Germain, beginnend mit dessen Rede auf dem Konzil von Basel 1433, als es um den Rang des burgundischen Herzogs im Kreis der anderen Fürsten ging (Douai, Bibl. municipale, Ms. 198 II: S. 374–380), dann Exzerpte aus dem Trésor des simples (Paris, BNF, ms. fr. 948: S. 380–399), einen kurzen Ausschnitt aus der Mappemonde spirituelle (Lyon, Bibl. municipale, PA 32: S. 399f.) und schließlich aus dem Liber de virtutibus (Barcelona, Univ.-Bibl., ms. 260: S. 400–407).

Stefan Tebruck

(Rezensiert von: Stefan Tebruck)