I libri di Bessarione. Studi sui manoscritti del Cardinale a Venezia e in Europa, a cura di Antonio Rigo / Niccolò Zorzi (Bibliologia 59) Turnhout 2021, Brepols, 432 S., Abb., ISBN 978-2-503-58953-4, EUR 85. – Anlässlich des 550. Jahrestags der Stiftung der Büchersammlung Kardinal Bessarions an die Republik Venedig fanden 2018 in der Bibl. Nazionale Marciana eine Reihe von Veranstaltungen statt, deren Beiträge im vorliegenden Band in schriftlicher Form zusammengeführt werden. David Speranzi, Le mani del cardinale. Note sulla scrittura greca di Bessarione (S. 17–32), kann einige in der älteren Literatur vorhandene Zuschreibungen von Schriftspecimina an Bessarion widerlegen, die betreffenden Zeugnisse Theodor Gaza und Athanasios Chalkeopoulos zuweisen und sieht den Grad der Beeinflussung der Schrift Bessarions durch dessen Lehrer Johannes Chortasmenos, der kontinuierlich abnimmt, als wichtiges Datierungskriterium für die Autographa des Kardinals an. – Stefano Martinelli Tempesta, I manoscritti bessarionei oggi a Milano in Ambrosiana (S. 33–61), kommt nach ausführlicher paläographischer und kodikologischer Untersuchung zu dem Schluss, dass die schon von Lotte Labowsky als Bestandteile einer einzigen Bessarion-Hs. identifizierten disiecta membra Ambr. A 168 sup., D 166 inf., B 165 sup., P 206 sup. und R 125 sup. ursprünglich sechs unterschiedlichen kodikologischen Einheiten zuzuordnen sind, die aber alle im selben Umfeld im dritten Viertel des 15. Jh. entstanden, verfolgt den Weg von Ambr. C 58 sup. nach Mailand und kann auf eine bisher unbekannte Bessarion-Hs. in der Ambrosiana (Ambr. G 14 sup.) aufmerksam machen. – Christian Gastgeber, Bessarion in der Österreichischen Nationalbibliothek (S. 63–83), rekapituliert zunächst kurz die Beziehungen Bessarions zu Wien (Legatenreise 1460/61) und Kaiser Friedrich III. und gibt dann eine Übersicht über die heute in der ÖNB aufbewahrten Hss. aus dem Besitz des Kardinals, wobei er einige schon von Peter Lambeck getroffene Zuweisungen plausibel widerlegen kann, sowie über die zeitgenössischen Abschriften von Bessarions Werken aus dem 15. Jh. ebendort. – Marie Cronier, Quelques manuscrits de Bessarion aujourd’hui conservés à la Bibliothèque nationale de France (S. 85–106), geht der Stichhaltigkeit der Argumente nach, aufgrund derer die bisherige Forschung Hss. aus dem Besitz Bessarions in der Pariser Bibliothèque nationale identifiziert hat, und versucht, deren Weg dorthin nachzuvollziehen. – Fabio Acerbi, I codici matematici di Bessarione (S. 107–218), stellt die – vom Kardinal teils selbst kopierten, teils mit Marginalien versehenen – Codices mathematisch-astronomischen Inhalts aus der Bibliothek Bessarions zusammen und untersucht en détail Venedig, BNM, gr. Z. 333 (coll. 644), eine kodikologisch komplexe und sehr umfangreiche Hs., insbesondere in Hinsicht auf von Bessarion benützte Vorlagen für einzelne Teile dieses Bandes. – Ciro Giacomelli, Aristotele e i suoi commentatori nella biblioteca di Bessarione. I manoscritti greci (S. 219–275), gibt einen detaillierten Überblick über die mehr als 80 Hss. aus dem Besitz Bessarions, die Aristotelica im weiteren Sinn enthalten, rekonstruiert für eine Reihe dieser Codices die Besitzgeschichte vor Bessarion und zeigt, dass dieser mit zunehmendem Alter deutlich mehr Wert auf die textliche Qualität seiner Aristoteles-Abschriften legte. – Niccolò Zorzi, Storia antica e storia bizantina nei manoscritti della biblioteca di Bessarione (S. 277–305), bietet eine überaus nützliche Zusammenstellung aller im Besitz Bessarions befindlichen Hss. mit griechischer Historiographie und Kirchengeschichte, in der, wenn bekannt, jeweils auch die vorherige Besitzgeschichte der Codices, ihre Schreiber, eventuelle Marginalien des Kardinals sowie die Vorlagen der Texte angegeben werden, und zeigt, dass Bessarion, obwohl er selbst historiographisch nicht aktiv war, großes Interesse vor allem an den antiken griechischen Geschichtsschreibern hatte, die er praktisch vollständig besaß, weniger hingegen an mittel- und spätbyzantinischen Autoren. – Ottavia Mazzon, Bessarione lettore di Erodoto, Tucidide, Senofonte. Appunti sul ms. Venezia, BNM, gr. Z. 526 (coll. 776) (S. 307–326), stellt in einer schulmäßig durchgeführten Untersuchung fest, dass sich Bessarion bei den in der genannten Hs. eingetragenen Exzerpten aus den drei antiken Historiographen vor allem für ausgefallene Wörter sowie für erbaulich-moralisierende Anekdoten und Orakelprophezeiungen interessierte, und kann plausibel machen, dass Venedig, BNM, gr. Z. 365 (coll. 739; kopiert in Mistra 1436) als seine Vorlage diente. – Luigi D’Amelia, L’Horologion di Bessarione e il calendario in forma di canone di Gregorio monaco (S. 327–365), identifiziert im frühesten datierten Schriftzeugnis Bessarions, Venedig, BNM, gr. Z 14 (coll. 395), eine in der Edition von Enrica Follieri 1966 mangels Kenntnis der Hs. nicht berücksichtigte Redaktion des Kalendariums des Gregorius monachus, die leicht abweichend auch in Berlin, Staatsbibl. Preußischer Kulturbesitz, Phillipps 1488, enthalten ist, und versucht das Fehlen des Abschnitts über den heiligen Eugenius in dieser Redaktion zu erklären, muss am Ende aber einräumen, dass es dabei durchweg bei Spekulationen bleiben muss. – Donatella Bucca, L’„Euchologium Bessarionis“ Crypt. Γ.B.I. Note paleografiche, codicologiche, testuali (S. 367–404), tritt wie die jüngere Forschung für eine Datierung der heute unter der genannten Signatur in Grottaferrata (Bibl. del Monumento Nazionale–Badia Greca) liegenden Hs. um 1300 ein, plädiert für eine Entstehung in Konstantinopel, ist aber mangels einschlägiger Hinweise wie autographer Marginalien oder Besitzvermerke eher vorsichtig hinsichtlich der Frage, ob der Codex sich tatsächlich im Besitz Bessarions befand und tatsächlich über ihn nach Grottaferrata gelangte. – Eleftherios Despotakis, The MS Oxon. Bodl. Holkham gr. 79. Historical and philological remarks (S. 405–414), kann aufgrund inhaltlicher Argumente die Vollendung der genannten Hs., die eine Reihe von Texten zur Unionsfrage enthält, auf das Jahr 1463 einengen und aufgrund zweier auf Kreta davon angefertigter Abschriften wahrscheinlich machen, dass sie sich nur sehr kurz im Besitz Bessarions befunden haben kann. Die ohne Ausnahme höchst interessanten und in paläographischer und kodikologischer Hinsicht auf hohem Niveau stehenden Aufsätze, die der einschlägigen Ausbildung an den italienischen Universitäten ein sehr gutes Zeugnis ausstellen, sind ein wichtiger Beitrag nicht nur zur Erforschung Bessarions, sondern allgemein zur Buchkultur im 15. Jh.
M. W.
(Rezensiert von: Martin Wagendorfer)