Beat von Scarpatetti, Bücherliebe und Weltverachtung. Die Bibliothek des Volkspredigers Heynlin von Stein und ihr Geheimnis, Basel 2021, Schwabe Verlag, 540 S., 60 Abb., ISBN 978-3-7965-4469-9, EUR 86. – Die aus jahrzehntelanger Beschäftigung mit Johannes Heynlin (ca. 1430–1496) erwachsene Monographie des erfahrenen Schweizer Paläographen arbeitet zum ersten Mal die umfangreiche private Büchersammlung Heynlins in ihrer Gesamtheit auf. Die Einleitung (S. 11–113) schildert zunächst die höchst interessante Biographie Heynlins, der sich bekanntlich nach mehreren universitären Stationen in Erfurt (?), Leipzig und Löwen an die Universität Paris begab und mit Guillaume Fichet 1470 die erste Druckerei in Paris einrichtete, ehe er nach einer langjährigen Tätigkeit als Bußprediger in Süddeutschland wenige Jahre vor seinem Tod in die Baseler Kartause eintrat. Anschließend umreißt der Vf. die Geschichte und Erforschung der Büchersammlung Heynlins und wertet deren Inhalt und Benutzerspuren aus. Dies geschieht auf Basis eines Katalogs der Bibliothek Heynlins (S. 115–547), der den Kern des Bandes darstellt. Durch die Gunst der Überlieferung (die Bibliothek der Baseler Kartäuser, in welche die private Büchersammlung Heynlins eingegangen war, gelangte schon im 16. Jh. an die Baseler Universitätsbibliothek und erlitt kaum Verluste) sind Heynlins Bücher fast vollständig auf uns gekommen. So umfasst der Katalog für eine private Büchersammlung der damaligen Zeit durchaus beachtliche 287 Nummern (52 davon sind Hss., 207 Inkunabeln, der Rest Mischbände), fast alle liegen heute noch in der Baseler Universitätsbibliothek. Die Beschreibungen der Bände orientieren sich bewusst nicht an einschlägigen Richtlinien wie jenen der DFG o. ä., sondern verfolgen das Ziel eines „catalogue raisonné“. Über die in einschlägigen Katalogen übliche, hier etwas abgespeckte kodikologische (verzichtet wird durchgehend auf Lagenformeln, weitgehend auch auf die Angabe bzw. die Identifizierung von Wasserzeichen etc.) und inhaltliche Beschreibung geht der Vf. vor allem in zwei Punkten hinaus: Einerseits bietet er zu den im jeweiligen Band enthaltenen Autoren bzw. Werken kurze bio-bibliographische Einführungen, um den Inhalt der Sammlung Heynlins deutlich zu machen; andererseits, und hier liegt zweifellos der größte Mehrwert des Buchs, wird detailliert angegeben, ob Heynlin als Schreiber, Rubrikator, Glossator etc. im jeweiligen Band greifbar ist; insbesondere seine Marginalien werden genau erfasst und zum Teil auch transkribiert. Angesichts von geschätzten ca. 10.000 Einträgen Heynlins in seine Bücher kann der Vf. das intellektuelle Profil des Protagonisten, dessen Bücher in ihrer Mischung von Humanistica und scholastischer Literatur seine Zeit spiegeln, mustergültig in bisher nicht für möglich gehaltener Detailliertheit herausarbeiten und zeigen, wie sich in den Marginalien, die fast durchweg in den theologischen und scholastischen Bänden Heynlins, kaum aber in den humanistischen zu finden sind, vor allem die Sorge um das eigene Seelenheil und die eigene Rechtgläubigkeit, die Furcht vor der ewigen Verdammnis und dem Jüngsten Gericht vor dem Hintergrund eines vor allem gegen Lebensende zunehmenden contemptus mundi spiegeln. Dazu bildet die Büchersammlung selbst, die in der Ausstattung der Bände und in ihrem Aufbau von auffallender Sorgfalt, ja „Skrupulosität“ geprägt ist (Heynlin betätigte sich auch in kaum glaublichem Ausmaß selbst am Schreiben seiner Bände, was den Vf. teils an der Identifizierung seiner Hand zweifeln lässt), einen interessanten Kontrast, ist sie doch zweifellos ein Zeugnis von intensiver Bibliophilie, das durch S.s Buch bei weitem noch nicht in allen Aspekten erschlossen worden ist. Dieses stellt somit auch eine wichtige Grundlagenarbeit für weitere Studien zu Heynlin dar.
M. W.
(Rezensiert von: Martin Wagendorfer)