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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,2 (2023) *.

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Katharina Lichtenberger, Mathias von Neuenburg und die Gegenwartschronistik des 14. Jahrhunderts im deutschen Südwesten (Historische Studien 515) Husum 2020, Matthiesen, 468 S., ISBN 978-3-7868-1515-0, EUR 59. – Der aus einer Heidelberger Diss. (2017) hervorgegangene Band verwahrt sich dagegen, um aus dem Resümee zu zitieren, ma. bzw. im vorliegenden Fall spätma. Chroniken „als vom Historiker zu verwendendes Mosaikteilchen“ zu behandeln, sondern privilegiert eine andere Herangehensweise: Die Chronik soll „als vom Autor beabsichtigte Einheit“ betrachtet werden (S. 379). Im Titel wird auf den vornehmlich in Straßburg in bischöflichen Diensten tätigen Juristen Mathias von Neuenburg (geboren um 1295, † nach 1364) verwiesen, Autor einer in mehreren Redaktionen überlieferten lateinischen Chronik, die zeitgeschichtlich ausgerichtet ist. In der Studie selbst ist Mathias indes „nur“ der primus inter pares, an der Seite seiner ebenfalls die erste Hälfte des 14. Jh. thematisierenden Zeitgenossen Heinrich von Diessenhofen und Johann von Winterthur, mit denen er in der Regel in einem Atemzug genannt wird, sowie Fritsche Closeners und des eine Generation jüngeren Jakob Twinger von Königshofen. Die beiden letzteren werden als Vertreter einer eigenen straßburgischen Historiographie berücksichtigt, zu der Mathias aufgrund seines Wirkungsorts ebenfalls gehört. Nach einem ersten Teil, in dem die Biographien der fünf Geschichtsschreiber rekapituliert werden, lässt die Vf. die Chronisten unter vier inhaltlichen Gesichtspunkten Revue passieren: (1) die chronikalische Darstellung der Päpste Johannes XXII., Benedikt XII. und Clemens VI.; (2) die örtlichen politischen Verhältnisse in Straßburg und Konstanz vor dem Hintergrund des spannungsvollen Dreiecks „Bischof–Domkapitel–Stadt“; (3) die Schilderung des König- bzw. Kaisertums, insbesondere bezüglich der Frage nach Legitimität bzw. Anerkennung des einzelnen Monarchen angesichts strittiger Wahlen und Gegenkönige im Zeitraum zwischen der Doppelwahl Friedrichs des Schönen und Ludwigs des Bayern (1314) und der zögerlichen Anerkennung Karls IV., auch nach Ludwigs Tod (1347); und (4) die teilweise mit Judenpogromen verflochtenen innerstädtischen Konflikte in Straßburg, Konstanz, Lindau und Zürich. Abgesehen davon, dass die Vf. den thematischen Reichtum der untersuchten historiographischen Schriften exemplarisch aufzeigt, gelingen ihr dank ihrer systematischen Herangehensweise aufschlussreiche Beobachtungen bezüglich der jeweiligen Standpunkte. Ihr besonderes Augenmerk gilt dem verwendeten Vokabular, was sich gerade bei der Frage nach der Legitimität, die einem (Gegen-)König von einem Autor zugestanden wird, als lohnend erweist. Auch wenn sich nicht jede individuelle Titelwahl schlüssig erklären lässt, so ergeben sich aus der Analyse doch Einblicke in die Eigenheiten der Gegenwartschronistik. In ihr zeigt sich nämlich, wie ein Autor „mit einer noch unabgeschlossenen Situation umgeht, nach den richtigen Worten sucht und gegebenenfalls seine Meinung unter dem Eindruck neuer Ereignisse verändert“ (S. 376f.). Ohne eigens auf den Umstand einzugehen, trägt die Vf. auch zur „Rehabilitierung“ des Chronisten als Autor bei – entgegen gewissen Ansätzen, die in ihm nicht mehr als eine gleichsam entpersönlichte auktoriale Instanz sehen.

Georg Modestin

(Rezensiert von: Georg Modestin)