Michal Dragoun, Středověká knihovna Starého Města pražského [Die mittelalterliche Bibliothek der Prager Altstadt], Praha 2022, Národni knihovna, 456 S., 61 Abb., ISBN 978-80-7050-767-4, CZK 590. – Die Monographie des exzellenten Prager Kodikologen ist das Resultat einer langjährigen und systematischen Beschäftigung mit den Hss.-Beständen der Nationalbibliothek der Tschechischen Republik. Die Identifizierung eines Teils der Ratsbibliothek der Prager Altstadt aus dem 15. Jh. wurde möglich zum einen auf der Grundlage von Besitzvermerken (8 Hss.), zum anderen anhand der spezifischen – aus zwei Zahlen und einem Buchstaben bestehenden – Signaturen (27 Hss.). Der Vf. konnte damit 35 Hss. identifizieren (eine Übersicht in den Tabellen auf S. 33f., 51–53, 69–71) – lediglich eine Hs. wird in der Mährischen Landesbibliothek in Brünn aufbewahrt (Sign. Mk 46) –, was schätzungsweise ein Zehntel des ursprünglichen Bestands der Ratsbibliothek ausmacht. Den Kern der Bibliothek bilden Werke der Homiletik, der systematischen Theologie, der Patristik und der Bibelexegese, während Rechtstexte so gut wie gar nicht auftauchen. Die spezifische Zusammensetzung der Altstädter Bibliothek ist das Resultat der turbulenten Ereignisse in der Frühphase der hussitischen Revolution (1419–1422), als zahlreiche Prager Kirchenbibliotheken geplündert oder zerstört wurden. Zu einem bedeutenden Teil stammen die erhaltenen Hss. der Bibliothek jedoch aus der Bibliothek der Natio Bohemica der Prager Universität, die im Jahr 1422 große Verluste erlitt. Das (durch den städtischen Rat?) erworbene Universitäts-Konvolut, das zugleich auch gerettete solitäre Hss. mehrerer vorhussitischer Kircheneinrichtungen in Prag (Dominikaner zu St. Clemens in der Altstadt, Benediktiner in Břevnov) beinhaltete, wuchs spätestens seit den 1430er Jahren weiter an durch Kauf und testamentarische Verfügungen, besonders das Vermächtnis von 5 Codices durch den Bürger Simon vom Weißen Löwen aus dem Jahr 1433. Außer den Signaturen und stereotypen Kolophonen ließ sich nichts über die Nutzung dieser – aller Wahrscheinlichkeit nach im Altstädter Rathaus gelagerten – Bibliothek ermitteln. Das Fehlen von Rechtsliteratur weist eindeutig auf eine separate Aufbewahrung dieser Sammlung hin, gesondert von der Handbibliothek der Altstädter Kanzlei, die gerade diese Literaturgattung für den Bedarf der städtischen Verwaltung und des Gerichtswesens enthalten haben muss. Die Bibliothek ging unter nicht näher bekannten Umständen vermutlich im letzten Drittel des 15. Jh. unter, und die Hss. fanden Zuflucht in den Bibliotheken der Universitätskollegien. Das Schicksal dieser mit Blick auf ihren Umfang in den böhmischen Ländern und im Reich außergewöhnlichen städtischen Ratsbibliothek ordnet der Vf. in den breiten Kontext der Buchsammlungen im 14.–15. Jh. in Prag ein, einschließlich zahlreicher Exkurse über spezifische städtische und Ratsbibliotheken im angedeuteten geographischen Zusammenhang. Dem schließt sich ein ausführlicher und präziser Katalog der 35 bekannten Hss. der Altstädter Bibliothek an (S. 91–383; 23 Codices sind digitalisiert auf www.manuscriptorium.com zugänglich). Am Schluss des Bandes finden sich selbstverständlich ein englischsprachiges Resümee (S. 385–387), ein Literaturverzeichnis (S. 389–397) sowie elf Spezialregister (S. 399–455).
Jan Hrdina
(Rezensiert von: Jan Hrdina)