Constructing History across the Norman Conquest. Worcester, c. 1050 – c. 1150. ed. by Francesca Tinti / David A. Woodman (Writing history in the Middle Ages 9) York 2022, York Medieval Press, XII u. 305 S., Abb., ISBN 978-1-914049-04-0, GBP 60. – Worcester bildete im 11. und 12. Jh. eines der großen Zentren der englischen Historiographie. Während sich die Forschung bislang vor allem mit der Deutung der Geschichtswerke befasst hat, fragt diese Sammlung von neun Aufsätzen gezielt nach den Praktiken historiographischer Produktion an dem nahe der walisischen Grenze gelegenen Bischofssitz. Der Beitrag der Hg. (S. 1–30) vermisst das Verhältnis von Urkundensammlung und Historiographie in Worcester und fungiert als Einleitung des Sammelbands, vier der Aufsätze bieten überdies kleinere Editionsteile. Die Beiträge beleuchten die Akquise und den Austausch von historischen Informationen und Vorlagen insbesondere innerhalb des Netzwerks englischer Benediktinerabteien, das Anlegen von Chartularen und Verzeichnissen von historiographischem Wissen sowie die Abfassung von Chroniken in ihren unterschiedlichen Redaktionsstufen. Besonderes Augenmerk gilt dabei der hsl. Überlieferung und den Überschneidungen verschiedener historiographischer Wissensformen mit Rechtstexten, Hagiographie und Dichtung. Auch wenn mit der normannischen Eroberung Englands neue personale Netzwerke insbesondere über die Bischöfe hinzukamen, zeigt der Sammelband doch eindrücklich, wie groß die Kontinuitäten in der historiographischen Produktion über das Jahr 1066 hinaus waren. Hinweise auf den Austausch von Hss. zwischen Köln, Fulda bzw. Mainz und englischen Zentren bereits im 10. Jh. führt Thomas O’Donnell (S. 31–60) an. C. Philipp E. Nothaft (S. 150–173) und Laura Cleaver (S. 174–199) widmen sich umfassend der Rezeption der in Mainz entstandenen Weltgeschichte des Iren Marianus Scotus durch das historiographische Atelier in Worcester. Die bis 1073 reichende Weltchronik kam durch den aus Lothringen stammenden Bischof Robert von Hereford (1079–1093) nach England und schon zu dessen Lebzeiten nach Worcester. Diese bereits in der Forschung bekannte Rezeption des Mainzer Geschichtswerks in England kann aber durch die kodikologischen Studien von N. und C. nun präziser gefasst werden, die überdies nachweisen, dass auch über die historiographische Produktion in Worcester hinaus zahlreiche weitere englische Chroniken des frühen 12. Jh. auf dieser Mainzer Vorlage basieren.
Andreas Bihrer
(Rezensiert von: Andreas Bihrer)