Stephan Nicolussi-Köhler, Marseille, Montpellier und das Mittelmeer. Die Entstehung des südfranzösischen Fernhandels im 12. und 13. Jahrhundert (Pariser Historische Studien 121) Heidelberg 2021, Heidelberg Univ. Publishing, 492 S., Abb., ISBN 978-3-96822-077-2, EUR 59,90. – DOI: https://doi.org/10.17885/heiup.833. – Die Vorrangstellung der norditalienischen Städte in den Untersuchungen zum ma. Handel hat lange die anderen Städtelandschaften des Mittelmeers verdeckt. Die wirtschaftshistorische Bedeutung der Städte in Provence oder Languedoc wurde zwar wahrgenommen, aber eher als eine verzögerte und begrenzte Reaktion auf den Aufschwung der italienischen Konkurrentinnen bewertet. Zu diesem Narrativ bietet das Buch von N.-K. eine ergänzende und in einigen Punkten relativierende Darstellung, indem es den südfranzösischen Fernhandel ins Zentrum der Untersuchung zieht, um die Frage nach dessen Entstehung, seinen Akteuren sowie dem Ursprung des investierten Kapitals zu erforschen. Es stützt sich dafür sowohl auf wohlbekannte Quellen – wie etwa die Privilegien und das Chartularium des Marseiller Notars Giraud Amalric aus dem Jahr 1248 – wie auch auf zahlreiche weniger benutzte Belege des Handels der beiden Städte mit ihrem Umland. Der erste wichtige Beitrag dieser Studie liegt in einer Relativierung der Rolle der norditalienischen Kaufleute im Mittelmeerhandel im 12. und 13. Jh. Zwar waren die Pisaner und Genueser Kaufleute im maritimen Fernhandel viel aktiver als die südfranzösischen und versuchten auch immer wieder diese aus dem Handel zu verdrängen. Auf der anderen Seite hatten Marseille und Montpellier im Binnen- und Kurzstreckenhandel immer noch eine große Bedeutung, wie es schon ihre – von der Forschung zum Handel in Nordfrankreich und Nordeuropa seit langem wahrgenommene – Anwesenheit auf den Champagnemessen demonstriert. Die Geschäfte eines Bernardus de Tarascone oder der Familie Angossola aus Piacenza bezeugen sogar eine enge Kooperation zwischen provenzalischen und italienischen Kaufleuten. Die Beziehungen zwischen den beiden Gruppen lassen sich also nicht auf wirtschaftliche Konkurrenz reduzieren. Zum anderen werden in diesem Buch die weitreichenden Handelsnetze der südfranzösischen Städte ans Licht gebracht. Denn aus dem Fokus auf Marseille und Montpellier geht nicht nur hervor, wie sehr die gesellschaftliche und wirtschaftliche Struktur dieser Städte dem Fernhandel zugewandt war, sondern auch, wie eng sie mit ihrem Umland und den anderen südfranzösischen Regionen, insbesondere dem Rhonetal und dem Quercy, verflochten waren. So stammte zum Beispiel das von der vornehmen Marseiller Familie Mandolio in den Mittelmeerhandel investierte Kapital teilweise aus Grundbesitz und Weinbergen. Allerdings waren die Wege der Integration in den Fernhandel für die beiden Städte nicht die gleichen. Während Montpellier sich auf das Gewerbe seines Hinterlandes stützen konnte, spezialisierte sich Marseille vielmehr auf den Zwischenhandel. In beiden Fällen kommt der Vf. allerdings zu der wichtigen Schlussfolgerung, dass der ab dem 12. Jh. zunehmende südfranzösische Fernhandel nicht von den lokalen Märkten getrennt werden kann, sondern eine Weiterführung schon existierender regionaler Handelsverflechtungen der Binnenökonomien darstellte.
Tobias Boestad