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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,2 (2023) *.

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Thomas Woelki / Johannes Helmrath (Hg.), Landesherrschaft und Kirchenreform im 15. Jahrhundert. Studien zum zweiten Band der Acta Cusana (Beihefte zu den Acta Cusana 1) Hamburg 2023, Felix Meiner Verlag, 510 S., ISBN 978-3-7873-4323-2, EUR 148. – Der durch ein Personen- wie Ortsregister zu erschließende Band versammelt 16 Studien besonders zum 2020 abgeschlossenen zweiten Band der Acta Cusana (siehe dazu auch oben S. 695–697), die sich mit der Brixner Bischofszeit des Nikolaus von Kues in den Jahren 1452–1458 beschäftigen (danach war Cusanus in seinem Bistum selten präsent). Die erste Abteilung, überschrieben mit „Kirchenreform und geistliche Erneuerung“, wird eröffnet durch die großangelegte Studie von Enno Bünz, Pastorale Visionen und die Kirchen vor Ort. Nikolaus von Kues und die Pfarrseelsorge im Bistum Brixen (S. 15–71), der Pfründenwesen, Synoden, Visitationen, Ablässe, Indulte u.a. untersucht, das ehrliche Bemühen des Cusaners um die Seelsorge, aber auch dessen häufiges Scheitern vor den weltlichen Mächten herausarbeitet. – Tobias Daniels, Eine Legatenurkunde, die Frauengemeinschaft St. Barbara in Gent (Joris Vranckx Clooster) und die Devotio moderna. Ein Nachtrag zu Acta Cusana I (S. 73–87), kontextualisiert und ediert eine Löwener Privilegienbestätigung vom 11. Februar 1452 für das im Titel genannte Institut. – Mit dem Umfang der Predigten, dem deutlich fassbaren Dialekt des Cusanus und Fragen der konkreten Umsetzung der pastoralen Erneuerung beschäftigt sich Walter Andreas Euler, Die Acta Cusana und die Brixener Predigten des Nikolaus von Kues (mit einem sprachwissenschaftlichen Anhang von Nikolaus Ruge) (S. 89–112). – Den Reformbemühungen um das Benediktinerinnenkloster Sonnenburg unter besonderer Berücksichtigung der Quellenzeugnisse der Äbtissin widmet sich Isabelle Mandrella, Nicolaus Cusanus und Verena von Stuben. Neue Einsichten in ein spannungsreiches Verhältnis (S. 113–134). – Sechs Beiträge gelten dem zweiten Themenfeld zur Bischofs- und Landesherrschaft. Nachdem Thomas Horst, Das Bistum Brixen unter Bischof Ulrich Putsch (1427–1437). Ständiges Ringen mit den Grafen von Tirol im Vergleich zu Cusanus (S. 137–169), bei erster Sichtung und praktischer Zusammenstellung der Archivalien (S. 158–169) ein durchaus vergleichbares Agieren der Oberhirten feststellen kann, leuchtet Emanuele Curzel, Nicolò Cusano vescovo di Bressanone (1450–1464) e Georg Hack vescovo di Trento (1446–1465) (S. 171–184), vornehmlich aus dem Korrespondenzschrifttum die Vielfalt der Brixner Beziehungen zum südwestlichen Nachbarbistum Trient zumindest an. – Abermals Tobias Daniels, Die Acta Cusana als Quelle für das Verhältnis von Kurie und Region in den Brixner Jahren. Mit Notizen zu Heinrich Collis und dem Straßburger Mendikantenstreit (S. 185–222), fügt seinen Überlegungen zu den Instrumenten und zur Dimension der Romnähe die Edition eines kopial überlieferten Schreibens des im Titel genannten Minoriten an, datiert auf den 20. März 1455, das auch eine Einschätzung der Bedeutung des Cusanus an der Kurie überliefert. – Eine eher schwach entwickelte herrschaftliche Durchdringung will Erika Kustatscher, Mikropolitische Aspekte der Herrschaft des Nikolaus von Kues als geistlicher und weltlicher Fürst in Brixen (S. 223–246), aus dem statistischen Befund ableiten. Große Teile weltlicher und geistlicher Belange seien unter dem Radar des Cusaners und seiner Mitarbeiter abgelaufen. – Die konzeptionelle „Verschmelzung der bischöflichen und herzoglichen Gewalt“ (S. 270) zeichnet Thomas Woelki, Ein Schuman-Plan avant la lettre? Die Vorschläge des Nikolaus von Kues zu einer integrativen Tiroler Landesherrschaft (1457) (S. 247–271), nach. – Die rund 11.500 Kilometer, die Nikolaus zwischen 1452 und 1458/60 zurücklegte, zeugen von einem durchaus mit anderen oberitalienischen Bischöfen vergleichbaren Seelsorge- und Visitationsengagement, so Werner Maleczek, Nikolaus von Kues als reisender Bischof von Brixen. Innerhalb und außerhalb seiner Diözese (S. 273–300). – Den letzten Abschnitt („Kommunikative Praxis und Bildungshorizonte“) eröffnet Johannes Helmrath, Nikolaus von Kues und die ‘Wiltener Affäre’ Juni 1457. Ängste – Gerüchte – Wahrheiten (S. 303–336), mit Überlegungen zur Grenze zwischen Fakten und Fiktionen in der spätma. mündlichen Kommunikation, die den Kardinal zu Jahresmitte 1457 in Angstzustände versetzte und die er im Nachhinein als große Demütigung durch Sigismund von Österreich empfand. – Clémence Revest, Johann Röttel et l’humanisme italien: autour d’un manuscrit de la bibliothèque épiscopale de Brixen (S. 337–358), macht den im Titel genannten Amtsvorgänger (reg. 1444–1450) des Nikolaus für die Verbreitung des Humanismus am Brixner Bischofshof verantwortlich. – Vor allem Briefanreden analysiert Felix Melching, Vom Duzen und Ihrzen in den Briefen des Nikolaus von Kues (S. 359–370), zur Rekonstruktion der Kommunikationsformen. – Dem Aufbau der cusanischen Bücher, dem Gelehrtenaustausch, der Organisation von Skriptorium und Bibliothek sowie den Wegen, welche die bibliophilen Schätze später nahmen, gelten die Studien von Marco Brösch, Der Bischof und seine Bücher. Studien zur Brixner Bibliothek des Nikolaus von Kues (S. 371–423), und Giovanna Murano, Niccolò da Cusa, Giovanni Pico della Mirandola ed il ms. Vat. lat. 4071 (S. 425–435). – Der erstaunlich reichen populären Cusanus-Rezeption besonders im 20. und frühen 21. Jh. wendet sich abschließend zu Hans Gerhard Senger, Nikolaus von Kues in der belletristischen Literatur. Die Brixener Jahre (S. 437–478). Im Inhaltsverzeichnis stehen teilweise veränderte Aufsatztitel.

Christof Paulus

(Rezensiert von: Christof Paulus)