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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,2 (2023) *.

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David S. Bachrach, The Foundations of Royal Power in Early Medieval Germany. Material Resources and Governmental Administration in a Carolingian Successor State, Woodbridge 2022, The Boydell Press, XV u. 364 S., Abb., ISBN 978-1-78327-728-5, GBP 75. – B. präsentiert eine gründliche Studie zu den Ressourcen, die den Herrschern im ostfränkischen und deutschen Reich während des ökonomischen Aufschwungs am Übergang vom frühen zum hohen MA zur Verfügung standen, zu ihren Größenordnungen und zu ihrer Verwaltung. Seine zentrale These besagt, dass die späten Karolinger und die Ottonen vom Wirtschaftswachstum im 9.–11. Jh. sowohl direkt profitieren konnten, indem sie die Erträge ihrer eigenen Ländereien anhäuften, als auch indirekt, durch Abgaben und Steuerleistungen der Kirche und der weltlichen Grundeigentümer und Grundbesitzer. Diese These entfaltet B. in fünf Kapiteln. Das erste legt dar, dass das demographische Wachstum der Landbevölkerung im 9. Jh. und die damit einhergehende Expansion der landwirtschaftlichen Produktion letztlich zu großen Ernteüberschüssen führten. Gleichzeitig ergab sich aus dem Bevölkerungswachstum ein Überschuss an Arbeitskräften, die sich auf bestimmte handwerkliche Fähigkeiten spezialisieren konnten und Güter für den Handel produzierten (Textilien, Werkzeug, Keramik, Luxusgüter). Kapitel 2 befasst sich mit dem umfangreichen Grundbesitz des königlichen Fiskus, worunter die Ländereien, die unmittelbar unter der Aufsicht königlicher Amtsträger standen, ebenso fallen wie Güter und Einkünfte, die in befristeten Pachtverhältnissen an verschiedene Amtsträger und fideles als Benefizien vergeben waren. B. betont, dass solche Landleihen für die Krone nicht verloren waren, sondern meist für die Durchsetzung ihrer Politik genutzt werden konnten. Kapitel 3 versucht eine Schätzung der menschlichen und finanziellen Ressourcen, die dem König allein schon auf der Grundlage der Regalien zur Verfügung standen. Dazu gehörten unterschiedliche Einkommensquellen wie Grundsteuern, Kopfsteuern, Zölle und Einnahmen, die mit der Kontrolle des Herrschers über seine Territorien, etwa Forstgebiete oder Bergwerke, zusammenhingen. Kapitel 4 zeigt, dass die karolingischen und ottonischen Könige auch aus Gütern, die an Bistümer oder Klöster vergeben worden waren, weiter Nutzen zogen. Insbesondere die Zehnten stellten eine ergiebige Quelle zusätzlicher Einkünfte dar, die zu großen Teilen direkt oder indirekt dem Herrscher zugute kamen. Das letzte Kapitel wendet sich gegen die Vorstellung, der überwiegende Teil der Einkünfte der Ottonen sei verwendet worden, um den umherreisenden Königshof (das sogenannte Reisekönigtum) zu unterhalten. Dagegen meint B., dass die ottonischen Könige in der Lage waren, präzise zu planen, weil ihre Verwaltung einen klaren Überblick über die Einkünfte aus Fiskalgütern, Regalien und dem servitium regis der Kirche hatte. Gegenüber der bisherigen Forschung ist B.s Zugang zum Thema weitaus umfassender und stützt sich auf immense Literatur- und Quellenkenntnis. Trotzdem weist das Buch einige Schwächen auf, die im wesentlichen mit zwei Problemen zusammenhängen. Das erste ist B.s Konzept von wirtschaftlichem Wachstum. B. sieht das Bevölkerungswachstum als Ausgangspunkt aller Dinge; dabei wäre es richtiger als eine der Konsequenzen oder Ausprägungen von Wirtschaftswachstum zu betrachten, nicht als seine Ursache. Zudem ist B.s Überzeugung vom Fronhofsystem als idealer Form der Agrarverfassung verfehlt. Zwar findet man entsprechende Phänomene immer wieder in der Globalgeschichte, aber mit ganz unterschiedlichen Resultaten. Die eigentliche Frage sollte sein, warum sich unter Karolingern und Ottonen die Villikationsverfassung in einem Maß verbreitet hat, für das es nirgends sonst etwas Vergleichbares gibt. Das zweite Problem hängt mit B.s Annahme zusammen, die Regierungspraxis der Karolinger und Ottonen sei deshalb so effizient gewesen, weil sie ein System der Einnahme und Verteilung von Mitteln nachbilden konnten, das dem Fiskalsystem der späten römischen Kaiserzeit ähnlich war. Doch dieser Vergleich basiert auf lediglich oberflächlichen Kenntnissen der spätrömischen Finanzverwaltung, da B. die einschlägige Literatur (mit Ausnahme von Walter Goffart) kaum rezipiert. Hier seien nur zwei Beispiele genannt: B. setzt den karolingischen heribannus, eine Geldbuße für diejenigen, die ihren militärischen Verpflichtungen nicht nachkamen, mit dem aurum tironicum gleich. Dieses war freilich eine echte Steuer für Landeigentümer, die keine Rekruten für die römische Armee stellen konnten oder wollten. Anders als der heribannus, aber vergleichbar mit den spätrömischen coemptiones, war das aurum tironicum an den Marktpreis der Rekruten gekoppelt; das bedeutet, dass die Einnahmen aus dieser Militärsteuer mit den realen Kosten der Rekruten zusammenhingen. Man könnte einwenden, dass die beiden Abgaben ähnliche Funktionen hatten; doch wichtig ist, dass diese unterschiedlichen Regelungen sehr verschiedene Auswirkungen auf die jeweiligen Wirtschaftssysteme hatten. Zweitens vergleicht B. die karolingische und ottonische Kopfsteuer mit der spätrömischen capitatio. Letztere war aber gerade keine simple Kopfsteuer, sondern eine Art Umverteilung, abhängig von der fiskalischen Zugehörigkeit (origo) des Steuerzahlers. Nur in Unkenntnis dieser Regelungen kann B. behaupten, dass die spätrömischen Pächter eine Grundsteuer zahlten, während sie in Wirklichkeit die Kopfsteuer entrichteten, vermittelt über die Eigentümer ihres Landes. Von diesen Kritikpunkten bleiben die zentralen Aussagen des Buchs über die Komplexität des spätkarolingischen und ottonischen Staates unberührt; man sollte sich aber bewusst sein, dass auch ausgeklügelte Verwaltungsformen sich strukturell vom römischen Staat unterscheiden können.

Paolo Tedesco (Übers. V. L.)

(Rezensiert von: Paolo Tedesco)