Michael Bühler, Existenz, Freiheit und Rang. Handlungsmuster des Ortenauer Niederadels am Ende des Mittelalters (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen 222) Stuttgart 2019, W. Kohlhammer Verlag, XXVI u. 344 S., 1 Farbtafel, ISBN 978-3-17-035360-2, EUR 32. – Studien zum spätma. Niederadel sind, so aufschlussreich sie für die jeweiligen regionalen Verhältnisse im 15. und 16. Jh. sein können, bis heute spärlich gesät, was sowohl an methodischen Hürden wie auch am hohen Rechercheaufwand liegen mag, sobald man 20 oder 30 Geschlechter zugleich in den Blick nimmt. B. hat für sein Buch, eine Überarbeitung seiner an der Univ. Freiburg im Wintersemester 2017/16 angenommenen Diss., mit der oberrheinischen Ortenau eine überschaubare Region gewählt, die aufgrund einer Tradition landschaftlicher Adelseinungen gut nach außen abgrenzbar ist – eine Karte wäre gleichwohl hilfreich gewesen. Der methodische Zugriff B.s ist als praxeologisch ohne großen theoretischen Überbau zu bezeichnen, wenn er sich das Ziel setzt, die auf zeitgenössische Herausforderungen reagierenden und durch fortdauernde Kommunikation (S. 32) geprägten Handlungsmuster des Ortenauer Niederadels herauszuarbeiten, die von drei Hauptmotiven geleitet gewesen seien: der Sicherung der materiellen Existenz, der Freiheit gegenüber drohender Landsässigkeit sowie dem sozialen Rang im komplexen Gefüge von Über- und Unterordnung innerhalb der zeitgenössischen Gesellschaft. Im Anschluss an die Einleitung stellt das erste Hauptkapitel auf 80 Seiten die Ortenauer Einung von 1474 in den Mittelpunkt (warum wurde hier keine neue Textedition beigegeben?) und verfolgt darüber hinaus die Einungstradition mit einer über 100 Jahre hinweg stabilen Beteiligung derselben Geschlechter bis in die Zeit der frühen Reformation und der Bildung der Reichsritterschaft. Mit B. ist festzuhalten, dass sich solche genossenschaftlichen Einungen und auch die Ganerbschaften nicht wesentlich von den einen Namen und/oder ein Gesellschaftszeichen tragenden Adelsgesellschaften unterschieden und daher künftig durch die Forschung dieselbe Aufmerksamkeit wie diese erfahren sollten. Das zweite Hauptkapitel „Weitere Lebensbereiche des Niederadels“ gliedert sich auf 160 Seiten in sechs Abschnitte, die sich mit dem Lehenswesen, Ämtern und Diensten, dem Fehde- und Kriegswesen, dem Heiratsverhalten und der Tätigkeit für Kirchen, Klöster und Stifte sowie nur sehr knapp mit wirtschaftlichen Anpassungsleistungen befassen. Inhaltlich Außergewöhnliches können B.s sorgfältig und geduldig angestellte Untersuchungen aus der vornehmlich urkundlichen Überlieferung nicht zutage fördern. Auch fehlen Selbstzeugnisse sowie Quellen zur sozialen Repräsentation, zur Gruppenbildung außerhalb der Einungen oder auch detaillierte Eheverträge. Der Wert der kompakten Studie liegt vielmehr vor allem darin, dass hier sozialgeschichtliche Ergebnisse aus einer Region gewonnen wurden, in der es trotz eines gewissen Vorrangs der Markgrafen von Baden keine dominante Fürstendynastie gab. Ausdifferenzierungen und eine Vermehrung bei den Außenbeziehungen des Niederadels lassen sich im Lehenswesen wie bei den Ämtern und Diensten sowie beim Kriegsdienst beobachten, und zwar sowohl in Richtung der umliegenden Fürstentümer wie auch zunehmend hinsichtlich der Stadt Straßburg. Besonders wertvoll sind B.s wiederholt eingestreute vergleichenden Blicke auf den Adel des kurpfälzisch dominierten und bereits gut erforschten Kraichgaus sowie der linksrheinischen Pfalz. So konnten die Ortenauer Adligen, anders als in jenen Regionen, kaum Domkapitelstellen besetzen, da diese entweder für sie nicht zugänglich waren (Straßburg) oder weil ihnen im Gegensatz zu den Kraichgauern die fürstliche Protektion dafür fehlte. Von besonderem Wert sind schließlich die vergleichenden Beobachtungen zur Positionierung zur frühen Reformation bis 1555. Ganz im Gegensatz zum Kraichgau verhielten sich die Ortenauer Adligen in dieser Frage weithin unentschlossen. B. kann plausibel machen, dass die besonders reformationsfreundlichen Kraichgauer wohl eher eine Ausnahme waren, die Ortenauer mit ihrer Indifferenz dagegen in einer konfessionell vielschichtigen Region den Durchschnitt niederadligen Verhaltens repräsentierten, wobei in dieser Frage nach einigen neueren Studien der letzten Jahre weiterer Forschungsbedarf besteht. Im Ganzen ist das Buch sehr gut lesbar. Resümees führen regelmäßig die Ergebnisse zusammen, sowohl abschnittsweise wie auch im abschließenden Kapitel „Zusammenfassung und Ausblick“. Dass die zu Beginn umrissenen Handlungsmuster des Niederadels gegenüber allen Herausforderungen der Zeit von B. als im Ganzen erfolgreich beurteilt werden können, kann nach den Adelsforschungen der letzten Jahrzehnte kaum mehr überraschen. Es scheint hier keine sozialen „Absteiger“ gegeben zu haben.
Joachim Schneider
(Rezensiert von: Joachim Schneider)