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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,2 (2023) *.

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Christine Kleinjung, Bischofsabsetzungen und Bischofsbild. Texte – Praktiken – Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835–ca. 1030 (Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter 11) Ostfildern 2021, Jan Thorbecke Verlag, 388 S., ISBN 978-3-7995-6091-7, EUR 48. – In der Mainzer Habil.-Schrift beschäftigt sich K. mit den Bischofsabsetzungen des westfränkischen Reichs der späten Karolinger- und frühen Kapetingerzeit. Nach einer Einleitung, in der die Zielsetzung skizziert und in die internationale Forschungslandschaft eingeordnet wird, folgen Fallbeispiele. Als erstes wird die Absetzung Erzbischof Ebos in Reims behandelt, die zugleich eine Art Folie für die nachfolgenden Exempel bildet. Es war die erste Bischofsabsetzung mit einem politischen Hintergrund im westkarolingischen Reich. Das dabei entstandene Schrifttum, vor allem aus der Feder Hinkmars von Reims, bildete eine der Grundlagen der Texte der folgenden Jahrzehnte. Diese Texte gehören unterschiedlichen Gattungen an – juristische bzw. historiographische Texte, Briefe, Synodalakten etc. bis hin zu Miracula – und vermitteln differente Bilder des Bischofs/des Bischofsamtes. Sie wurden zum Teil parallel zum jeweiligen Verfahren, zum Teil als nachträgliche Betrachtungen eines bereits abgeschlossenen Vorgangs verfasst. Während die karolingerzeitlichen Texte noch überwiegend am Bischofssitz entstanden sind, kommen um die Jahrtausendwende als neue Akteure Angehörige der Reformklöster als Autoren hinzu, die entsprechend ein anderes Bischofsbild vermittelten. Örtlich bilden der Bischofssitz Reims und die Abtei Fleury Zentren der betrachteten Textproduktion. Letztendlich spiegeln die Texte die Bemühungen um geregelte Verfahren wider, ermöglichen aber auch grundsätzlich eine Beschreibung des Bischofsamts und seiner Befugnisse. Die Entstehung von Ritualen und die Fragen, wer überhaupt berechtigt ist, einen Bischof abzusetzen und wo das zu geschehen hat, werden thematisiert. Verschiedenartig wie die Texte waren auch die (vorgegebenen) Gründe der Absetzungen, die jedoch stets Konflikte innerhalb der politischen Ordnung widerspiegelten – das Verhältnis zwischen Bischöfen und Königtum –, ferner Fragen des Kirchenguts oder das Verhältnis zwischen Erzbischöfen und ihren Suffraganen sowie die Stellung des Papsttums. Minutiös betrachtet K. die Absetzungen von Ebo von Reims bis Arnulf von Reims, also den Zeitraum zwischen 835 und 991. Die öffentlichen Verfahren in Anwesenheit von Bischöfen, Königen und weiteren Großen des Reichs wurden mit einer formalen Anklage eröffnet, dann folgten öffentliche und gegebenenfalls diskrete Verhandlungen und Absprachen, die schließlich zu einer Verurteilung und einer Buße des abgesetzten Bischofs führten. Es konnten mehrere Ankläger auftreten, die verschiedene Ziele verfolgen konnten, wie auch die Verhandlungen sich über mehrere Versammlungen ziehen konnten. Richter waren in der Regel die Mitbischöfe, die ihr Urteil anhand der ihnen bekannten und vorliegenden Schriften und deren „Autorität“ trafen. Päpstliche Vertreter waren am Beginn nicht anwesend, doch aufgrund von Appellationen an den päpstlichen Hof sowie des Einflusses der mönchischen Reformbewegung spielte das Papsttum eine immer größere Rolle, so dass am Schluss des Untersuchungszeitraums keine Absetzung ohne päpstliche Legaten möglich war. Anhand der Bischofsabsetzungen und der daraus hervorgegangenen Schriften betrachtet und interpretiert K. das Generieren von Wissen. A. Assmanns „Speichergedächtnis“ und „Funktionsgedächtnis“ dienten als Vorlage für ihre Beschreibung von „Speicherwissen“ (Grundlage des Wissens) und „Funktionswissen“ (Anpassung des Wissens). Archiv und Wissensorganisation sind Zeichen dieser Entwicklung. In einem spannenden Bogen vom 9. bis zum frühen 11. Jh. zeigt sich an den Absetzungen das Entstehen von Ritualen, Normen und Wissen von den ersten, vielleicht gar tastenden Versuchen bis hin zu (halbwegs) festgesetzten normativen Formen, die sich dennoch auf Dauer nicht halten konnten. Die Schriften und deren Nutzung in den folgenden Jahrzehnten werden ausführlich dargestellt, so dass sich ein Bild des Ringens um die richtigen Formen der Bischofsabsetzung und somit der Stabilisierung der politischen Ordnung ergibt. Deutlich herausgearbeitet wird der Wechsel, die Zunahme der Autoren und der damit sich weitende Blick durch die Einbeziehung des klösterlichen Reformschriftguts. Gegenüber einem bischofzentrierten Blick brachte die monastische Außensicht neue Aspekte und Betrachtungsweisen auf das Wissen und das durch dieses bis dahin tradierte Bischofsbild. Abgeschlossen wird die Untersuchung mit einem ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einem Personen- und Ortsregister. Als Wermutstropfen ist zu bemerken, dass dem Buch ein letzter gründlicher Korrekturgang nicht geschadet hätte, durch den die zahlreichen Tipp- und Satzfehler hätten vermieden werden können. Diese Bemerkung soll aber nicht den Erkenntnisgewinn und Nutzen der Schrift mindern.

Nathalie Kruppa

(Rezensiert von: Nathalie Kruppa)