Zachary Guiliano, The Homiliary of Paul the Deacon. Religious and Cultural Reform in Carolingian Europe (Sermo 16) Turnhout 2021, Brepols, 341 S., Abb., ISBN 978-2-503-57791-3, EUR 90. – Das Buch fußt auf der Diss. des Vf. (Cambridge 2016) und bietet die bislang eingehendste Untersuchung des zweibändigen Homiliars, das Paulus Diaconus im Auftrag Karls d. Gr. für das nocturnale officium zusammengestellt hat. Als Geistlicher, nicht nur Historiker, findet G. einen engagierten Zugang zur Materie, worunter die Stringenz der Kapitel mitunter leidet. Auf den Literaturüberblick (Introduction) und eine Darstellung der hsl. Überlieferung (Chapter 1) folgen Ausführungen zum Kirchenjahr des Homiliars (Chapter 2) mit Datierung und minimal kommentierter Tagesliste (S. 85–89), die zum Rückgriff auf Wiegand und Grégoire zwingt (Tabellen S. 58, 64f.). Erst dann kommen Aufbau und Vorlagen samt Arbeitsweise und wiederum Datierung zur Sprache (Chapter 3), während Verbreitung (Chapter 4, Stemmata S. 155 und 159) und Gebrauch (Chapter 6) durch eine Diskussion der theologischen Tendenz unterbrochen werden (Chapter 5). Vier Anhänge bieten Edition und Übersetzung der wichtigen Prolegomena: 1) Pauls Widmungsgedicht an Karl, 2) Karls Empfehlung an die Lektoren seines Herrschaftsgebiets (Epistola generalis), 3) der Titel des Homiliars und 4) Pauls Loblied an Karl. Neues ergab sich nicht, trotz breiterer Hss.-Basis (Tabelle S. 50f.), denn casse (statt casso) labore licet recte (statt recto) intuitu widerspricht allen acht kollationierten Hss. der Epistola, nicht nur denen des Apparats (S. 256 Z. 20; drei nicht kollationierte S. 251). Ihnen lassen sich fünf weitere hinzufügen: München, Stadtarchiv, Historischer Verein von Oberbayern, Nachlass Bernhard Stark VIII, Einzelblatt 500 (vor 993 nach Bischoff; lediglich Rückseite beschrieben mit dem Sondervorwort Abt Ramwolds von St. Emmeram und dem Beginn der Epistola); Vatikan, Bibl. Apostolica Vaticana, Ottob. lat. 2546, fol. 232 (10/11. Jh.; Epistola auf der Vorderseite, rückseitig Gedicht und das Vorwort zum Homiliar Alanusʼ von Farfa); Leipzig, Univ.-Bibl., 353 (13. Jh., laut Katalog Helssigs aus dem Dominikanerkloster); Trier, Stadtbibl., 740/291 4o (16. Jh., aus der Kartause St. Alban, laut Katalog Kentenichs mit „beachtenswerten Varianten“ der Epistola; dankenswerter Hinweis von Rudolf Pokorny); Paris, Bibl. nationale, Baluze 379, fol. 230 (Abschrift der Epistola und des Loblieds aus einem „alten Lektionar“ von Saint-Pierre dʼAngers). Sie bereichern die Liste von über 400 Hss. (die wenigsten vollständig), Fragmenten und Derivaten, die im fünften Anhang präsentiert werden (dazu indirekte Zeugnisse S. 137–147) – ein imposantes Fundament für weitere Forschungen. Aber auch inhaltlich zieht G. Gewinn. So kann er aus der Abfolge der beweglichen und unbeweglichen Tage schließen, dass der Ostertermin des Homiliars auf den 8. April fiel, was 787 und 798 der Fall war und eine entsprechende Datierung erlaubt (S. 82–84). Freilich verwirft G. den Kairos von 787, als Karl von Rom über Pauls Kloster Montecassino gegen Arichis II. zog, und entscheidet sich für November/Oktober 797/98 (Postscript S. 118–122 gegen meine Studie DA 66, 455–477). „Paul must have taken some (!) time to select materials, collect them, and edit them after receiving his commission“, sagt G. zunächst (S. 121), übersetzt dann aber das nuper des Auftrags mit „long (!) ago“ (Widmungsgedicht Z. 15, S. 252f., auch S. 21), während sich „some (!) time ago“ zum iam pridem der Bibelrevision gesellt (Epistola Z. 12, S. 255 und 257, auch S. 97f., ohne iam S. 119). Aber warum soll Paul nicht schon vor seiner fränkischen Zeit gute Homilien kennengelernt haben – ob beim ständigen Offizium in Montecassino oder an den Höfen von Pavia und Benevent/Salerno? Das Aachener Niveau musste auch ihn abstoßen, und leicht konnte er Karl Besseres bieten oder – gewusst wo – besorgen. In G.s Vorstellung hingegen unternahm Paul, obgleich senex (Neff Nr. XXIII), zeitraubende Bibliotheksreisen wie ein „wandering monk“ (S. 113–116). Derweil hätte Karl die oft anonymen, vor Fehlern strotzenden Predigten trotz erklärten Widerwillens (non sumus passi, Epistola Z. 22) weiter dulden müssen, während sein familiaris clientulus Paul (Z. 26) längst nach Montecassino heimgekehrt wäre. Zweifel wecken aber auch G.s sonstige Gründe. Dass das Homiliar gleiche Themenkreise bedient wie die Admonitio generalis von 789 (S. 174f., 181), besagt wenig, solange G. wörtliche Abhängigkeiten nicht nennt, geschweige denn prüft, und überhaupt nur mit der Übersetzung P. D. Kings (1987) arbeitet statt mit MGH Fontes iuris 16 (2012). Der Anti-Adoptianismus, den die Aufnahme von Bedas Weihnachtspredigt 1,8 zeigen soll (S. 182f., 188), wird durch das Schweigen Alkuins alles andere als bestätigt. Und den Dank für Gottes Beistand, den auch die Arenga der Admonitio zum Ausdruck bringt, konnte ein frisches Komplott (786 direkt vor 787) eher veranlassen als zwei alte (786 und 792 lange vor 797/98, dafür S. 97, 120). Problematisch bleibt schließlich das Loblied Pauls. Von G. muss es, da römisch, als späterer Zusatz angesehen und zur Kaiserkrönung datiert werden (S. 52, 121f.), doch überbietet Dardanidaeque gloria gentis wie zum Vergleich die Latiae gloria gentis des 787 unterworfenen Arichis II., und war der Toga tragende Karl, wie sich Einhard erinnert, zweimal Romano more gekleidet, auf Bitten Leos III. (800/801), aber auch Hadrians (also 787).
Michael Glatthaar
(Rezensiert von: Michael Glatthaar)